Istanbul: Neue Terroranklagen gegen CHP-nahe Beamte – Justiz unter politischem Druck?

Trotz wachsender Proteste setzt die türkische Justiz ihre umstrittenen Ermittlungen gegen oppositionelle CHP-Verwaltungen in Istanbul fort: 25 städtische Beamte stehen nun wegen angeblicher Terrorunterstützung vor Gericht – ein Vorgang, der Beobachtern zufolge politisch motiviert sein könnte.
Ungeachtet von Protesten in der Bevölkerung setzt die Staatsanwaltschaft von Istanbul ihr Vorgehen gegen die Stadtverwaltung von Istanbul fort. In der Vorwoche wurden 25 ehemalige und amtierende Beamte angeklagt. Sie kommen aus vier Kommunen innerhalb der Metropole, die von der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) regiert werden.
Die Anklagen lauten auf „Terrorismusfinanzierung“. Unter diesem Prätext waren einst vor allem gewählte oppositionelle Bürgermeister der prokurdischen HDP (jetzt DEM) im Südosten der Türkei ihrer Ämter enthoben worden. Mittlerweile scheint die türkische Führung diese Praxis auf die CHP ausweiten zu wollen.
Ausschließlich CHP-Hochburgen in Istanbul betroffen
Die Betroffenen gehören zu jenen 32 Personen, die im März im Zuge der groß angelegten Ermittlungen gegen Mitglieder der Stadtverwaltung festgenommen worden waren. Unter ihnen befanden sich ehemalige Bürgermeister, stellvertretende Bürgermeister und städtische Angestellte. Die betroffenen Bezirke Ataşehir, Maltepe, Sarıyer und Şişli gelten als Hochburgen der CHP.
Auch gegen den 2024 souverän wiedergewählten Bürgermeister Ekrem İmamoğlu wurde zu Beginn wegen Terrorismusverdachts ermittelt. Das Wahlbündnis mit der DEM, das dessen Vertretern einen größeren Einfluss in der Stadt sicherte, reichte jedoch nicht aus, um diesen Vorwurf vor einem Untersuchungsrichter aufrechterhalten zu können.
Den nunmehr angeklagten Beamten wird unterdessen nicht die Finanzierung der PKK oder eine Zusammenarbeit mit der HDP/DEM vorgeworfen, die von Ankara als deren politischer Arm dargestellt wird. Stattdessen geht es um die linksextremistische Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-front (DHKP/C).
Die DHKP/C: Marginale Gruppierung als Vorwand?
Der Anklage zufolge sollen die nun Angeklagten die 1971 gegründete und auch innerhalb der Linken völlig marginalisierte marxistisch-leninistische Organisation unterstützt haben. Diese wird in der Türkei ebenso als terroristische Gruppierung eingestuft wie in den USA und der EU. In der Vergangenheit ist sie unter anderem durch Hungerstreiks in Gefängnissen oder Mordanschläge auf Wirtschaftsführer in Erscheinung getreten.
Auch von der CHP geführte türkische Regierungen hatten die DHKP/C jedoch stets mit aller Härte bekämpft. Aufgrund ihrer dogmatischen Ausrichtung hat die Organisation auch keinerlei Rückhalt in der Linken. Vielmehr hat sie eine Vielzahl an ideologisch oder persönlich motivierten Spaltungen erlebt.
In den 2010er Jahren schaffte es die DHKP/C durch einige Anschläge zurück in die Schlagzeilen – unter anderem einem Selbstmordattentat auf die US-Botschaft in Ankara. Der Attentäter musste jedoch zuerst aus Deutschland einreisen. Die Gruppierung bekannte sich 2015 sogar zu einem Selbstmordanschlag, den sie selbst gar nicht verübt hatte.
İmamoğlu vor Gericht: „Ich bin hier, weil ich die Wahlen in Istanbul dreimal gewonnen habe“
Verurteilungen würden Rückenwind für Vorgehen gegen İmamoğlu geben
Dies alles deutet auf eine so tiefgreifende Bedeutungslosigkeit hin, dass die Annahme als höchst unwahrscheinlich anmuten muss, eine zweistellige Anzahl an kommunalen Beamten einer Metropole würde sie freiwillig finanzieren. Zudem gilt die Vereinigung seit langem als von Geheimdiensten unterwandert.
Die Anklage, wonach die Betreffenden ein Komitee gebildet haben sollen, um die Gruppierung zu unterstützen, stützt sich im Wesentlichen auf die Aussage eines anonymen Zeugen. Dieser soll ein ehemaliges Mitglied der DHKP/C sein. Die Unterstützung soll über kommunale Ausschreibungen finanziert worden sein, die von Unregelmäßigkeiten geprägt gewesen seien.
Den Angeklagten drohen Haftstrafen zwischen sieben und 15 Jahren. Die CHP bezeichnet die Verfahren als politisch motiviert und bestreitet alle Vorwürfe. Eine Verurteilung der früheren Kommunalbeamten würde jedoch Rückenwind für die Regierung bei deren Versuch bedeuten, den abgesetzten Bürgermeister İmamoğlu aus dem Verkehr zu ziehen.
Umfrage: Erdoğan würde Präsidentenwahl gegen Yavaş klar verlieren
Diesem wird vorgeworfen, für ein Korruptionsnetzwerk in der Stadtverwaltung von Istanbul verantwortlich zu sein. Die CHP hatte İmamoğlu im März bereits vorzeitig zu ihrem Präsidentschaftskandidaten erklärt. Die Wahlen würden regulär im Jahr 2028 stattfinden. Es erscheint jedoch als denkbar, dass sich Präsident Recep Tayyip Erdoğan durch ein Vorziehen des Urnengangs eine weitere Kandidatur ermöglichen will.
Jüngsten Umfragen zufolge, die allerdings auf Februar datieren, läge Erdoğan bei einer Präsidentenwahl knapp acht Prozent hinter einem generischen Kandidaten der CHP. Bei Umfragen, die konkrete Optionen nennen, lag Erdoğan zwar in einem ersten Wahlgang knapp drei Punkte vor Imamoğlu, jedoch mehr als vier Prozentpunkte hinter dem Bürgermeister von Ankara, Mansur Yavaş.