Der prominente Habertürk-Moderator Mehmet Akif Ersoy ist im Rahmen einer umfangreichen Drogenuntersuchung in Istanbul verhaftet worden. Mit ihm wurden drei weitere Personen in Gewahrsam genommen. Was der Fall über den aktuellen Zustand der türkischen Politik- und Medienlandschaft verrät.
Mehmet Akif Ersoy wird vorgeworfen, Drogen erworben, konsumiert sowie anderen Personen Ort und Gelegenheit für den Konsum geboten zu haben. Die Ermittler gehen darüber hinaus davon aus, dass in seiner Wohnung speziell für weibliche Gästen Betäubungsmittel bereitgestellt wurden. Diese Frauen wurden danach offenbar sexuell misshandelt und danach weiter unter Druck gesetzt.
Die Staatsanwaltschaft behauptet außerdem, Ersoy habe Frauen mit Männern aus seinem Umfeld zusammengebracht und dadurch berufliche sowie finanzielle Vorteile für sich selbst angestrebt. Eine Art Zuhälter, aber galant und einflussreich durch die Gnaden der breiten und ahnungslosen Öffentlichkeit. Nach Bekanntwerden des Verfahrens wurde Ersoy von Habertürk zur „Sicherung der laufenden Ermittlungen“ von allen Aufgaben freigestellt.
Wieso erwischt es gerade jetzt einen regierungsnahen Mann?
Besondere Aufmerksamkeit erhält der Fall, weil Ersoy jahrelang als regierungstreu und AKP-nah galt. Seine Karriere begann 2009 im Fernsehen, später arbeitete er für TRT und stieg bei Habertürk zu einer der wichtigsten Moderatoren auf. Noch am 2. Dezember hatte er in seiner Nachrichtensendung den AKP-Sprecher Ömer Çelik als Studiogast begrüßt.
Habertürk selbst steht seit Herbst unter staatlicher Treuhandverwaltung, nachdem gegen die Muttergesellschaft Can Holding ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung und Betrugs eingeleitet worden war. Mit der Übernahme durch den staatlichen Fonds TMSF rückten Schlüsselpositionen im Sender stärker unter politische Kontrolle – darunter auch Ersoys Rolle als Chefredakteur und Nachrichtenmoderator.
Şamil Tayyar über Mehmet Akif Ersoy: „Niemand ist unantastbar“
Der Fall ist deshalb politisch brisant, weil er eine Figur betrifft, die bislang eng mit staatlichen Strukturen verwoben war. Die Ermittlungen zeigen, dass die Justiz „niemanden mehr verschont“, wie es regierungsnahe Stimmen formulieren. Der ehemalige AKP-Abgeordnete Şamil Tayyar deutete sogar an, die TMSF habe Ersoy zuvor bereits absetzen wollen, sei jedoch „an einflussreichen Freunden“ gescheitert. Nun zeige die Operation: „Niemand ist unantastbar.“
Die Verhaftung hat landesweit für Aufsehen, Verwunderung und teilweise Häme gesorgt. Viele Beobachter sehen in dem Fall ein Symbol dafür, dass moralische Ansprüche und Realität im türkischen Medienbetrieb weit auseinanderklaffen. Oppositionsnahe Kommentatoren betonen die Ironie, dass ein AKP-freundlicher Journalist nun selbst zum Objekt eines Skandals geworden ist, der Drogenmissbrauch, Machtmissbrauch und persönliche Bereicherung miteinander vereint. Regierungsnahe Stimmen interpretieren die Ermittlungen hingegen als Zeichen eines kompromisslosen Vorgehens gegen Drogen – unabhängig davon, wen es trifft.
Mehmet Akif Ersoy, der Steilgänger
Ersoy studierte Öffentlichkeitsarbeit an der Kommunikationsfakultät der Universität Istanbul. Seit 2009 war er journalistisch tätig, zunächst bei 6 News, später in verschiedenen Funktionen bei TRT. 2017 wechselte er zu Habertürk, wo er als Moderator, Korrespondent und schließlich als Hauptnachrichtensprecher arbeitete. Innerhalb des Senders galt er als eines der wichtigsten Gesichter der politischen Berichterstattung. Auch seine Beiträge aus dem Erdbebengebieten bleiben in Erinnerung.
Der Fall zeigt, wie volatil die Türkei ist und bleibt. Der Höhenflug ist ebenso nah und wie der tiefe Fall. Dabei werden die Paradigmen der türkischen Juristerei immer undurchsichtiger. Schwindet der Schutzpatron der AKP über Figuren, wie Ersoy, oder ist das vielmehr eine AKP-Initiative, um Positionen neu zu besetzen? Die Frage wird vermutlich in vielen Jahren geklärt sein, wenn wieder Gras über diesen Fall gewachsen ist.



