Panorama
Kindergeld wurde Nicht-EU-Ausländern zu Unrecht verwehrt
Etliche Familien aus Nicht-EU-Ländern haben in Deutschland jahrelang zu Unrecht kein Kindergeld bekommen. Das Bundesverfassungsgericht erklärte im Nachhinein eine Vorschrift, die von 2006 bis 2020 in Kraft war, für verfassungswidrig und nichtig. Das wurde am Mittwoch in Karlsruhe mitgeteilt (Az. 2 BvL 9/14 u.a.).
Danach stand Menschen, die aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen nach Deutschland gekommen sind, das Kindergeld erst nach mindestens dreijährigem Aufenthalt zu. Außerdem hing der Anspruch von einer Integration in den Arbeitsmarkt ab – und dieser zweite Punkt war nach der Entscheidung der Richterinnen und Richter nicht gerechtfertigt. Sie hatten 2012 schon eine wortgleiche Regelung zum Erziehungs- und späteren Elterngeld gekippt. Zum 1. März 2020 änderte der Gesetzgeber dann die Vorschrift beim Kindergeld.
Größere finanzielle Auswirkungen dürfte das Ganze nicht haben. „Bescheide, die im Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Entscheidung bereits bestandskräftig sind, bleiben von der Nichtigerklärung unberührt“, heißt es im Beschluss ganz am Ende. Es bleibe dem Gesetzgeber aber „unbenommen, eine andere Regelung zu treffen“.
Nur wer rechtzeitig geklagt hat, dürfte profitieren
Damit profitieren zunächst einmal nur betroffene Mütter und Väter, die gegen die Ablehnung ihres Kindergeld-Antrags geklagt hatten und deren Verfahren noch laufen. Mehrere Fälle sind etwa beim Niedersächsischen Finanzgericht anhängig. Die Richter dort hatten 2014 die Überprüfung in Karlsruhe angestoßen, weil sie den gesamten zweiten Teil des Paragrafen im Einkommensteuergesetz (§ 62) für verfassungswidrig hielten. Unter die Lupe genommen wurde nun aber nur eine Untervorschrift, der Rest war für die Fälle nicht maßgeblich.
Familienministerin Lisa Paus (Grüne) rechnet „nicht mit großen Veränderungen in der Praxis der Kindergeld-Auszahlung“, auch nicht mit Missbrauch oder stark steigenden Ausgaben, wie sie der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagte. „Nach wie vor wird es nur an Nicht-EU-Ausländer ausgezahlt, die sich voraussichtlich dauerhaft in Deutschland aufhalten.“ Die Bundesregierung werde das Urteil sorgfältig prüfen.
Freibeträge sind manchmal die bessere Alternative
Das Kindergeld soll die grundlegende Versorgung von der Geburt bis mindestens zum 18. Geburtstag sichern. Derzeit gibt es monatlich für das erste und zweite Kind 219 Euro, für das dritte Kind 225 Euro und für jedes weitere Kind 250 Euro. Für Gutverdiener sind die alternativ vorgesehenen Freibeträge bei der Steuer oft die günstigere Variante.
Bis Ende 1989 bekamen alle Familien in Deutschland Kindergeld. Seither gab es mehrere Anpassungen. Heute steht die Leistung allen Deutschen und allen EU-Ausländern zu, die hier leben und arbeiten. Für Menschen aus bestimmten weiteren Staaten gelten Sonderregelungen.
In dem Karlsruher Verfahren ging es um die Gruppe der sogenannten nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländer und hier wiederum nur um die Menschen mit humanitären Aufenthaltstiteln. Nach der Neuregelung bekommen sie nun generell Kindergeld, wenn sie seit mindestens 15 Monaten in Deutschland sind. In der alten Fassung wurde zusätzlich zur Aufenthaltsdauer vorausgesetzt, dass sie entweder erwerbstätig oder in Elternzeit sind oder Arbeitslosengeld I beziehen.
Situation im Herkunftsland meist entscheidend
Diese Ungleichbehandlung ist laut Verfassungsgericht nicht gerechtfertigt. Es sei zwar legitim, nur den Eltern Kindergeld zu gewähren, die voraussichtlich dauerhaft bleiben. Bei den Menschen, die aus humanitären Gründen da sind, lasse sich das aber nicht an der Erwerbstätigkeit ablesen. In den meisten Fällen komme es vor allem auf die Situation im Herkunftsstaat an, nicht auf die eigenen Pläne.
Einige der Eltern, deren Klagen in Niedersachsen anhängig sind, hatten vorübergehend das Kindergeld verloren, weil sie einige Monate auf Arbeitslosengeld II zurückgefallen waren, ehe sie einen neuen Job fanden. Das zeige, dass die Regelung der tatsächlichen Situation der Betroffenen nicht gerecht geworden sei, schreiben die Richter.
dpa/dtj