Macht sich Ali Koç zum Autokraten von Fenerbahçe?

Im Rahmen der traditionellen Mitgliedervollversammlung zum Opferfest hielt Fenerbahçes Vereinspräsident Ali Koç eine nachhallende Rede, in der er sich zur aktuellen Lage des Vereins äußerte – inmitten massiver Kritik von Fans und Mitgliedern.
Trotz anhaltender sportlicher Erfolglosigkeit kündigte Koç an, erst im September Neuwahlen durchführen zu wollen. Diese Entscheidung stößt in der Fener-Community sauer auf. Nicht nur, dass die neue Saison dann schon längst begonnen haben wird – Beobachter sprechen von einer bewussten Verzögerung, um sich durch Transfers bis dahin eine bessere Ausgangslage zu verschaffen.
Der demokratische Konflikt
Besonders kontrovers wurde ein Abschnitt von Koçs Rede aufgenommen, in dem er sich zu demokratischen Entscheidungsmechanismen innerhalb des Vereins äußerte. Wörtlich sagte Koç: „Wissen Sie, warum wir gegenüber diesen Angriffen standhaft geblieben sind – Angriffen, die, ich sage es offen, zum Teil niederträchtig waren und von Leuten kamen, die keinen Wert besitzen? Wenn wir in unserer Gemeinschaft diese Tür einmal öffnen, also Präsidenten durch solche Methoden angreifbar machen, und diese Menschen damit Erfolg haben, dann werden wir diese Tür nie wieder schließen können. So demokratisch diese Methode auch sein mag – im Hinblick auf das Fortbestehen und die Zukunft unseres Vereins ist sie ungeeignet.“
Mit diesen Aussagen stellt Koç indirekt das Prinzip eines demokratischen Vereins infrage. Zwar erkennt er die demokratische Qualität des Vorschlags – etwa einer Abwahl durch Mitglieder – an, lehnt diesen aber ab, weil er ihn als bedrohlich für die „Stabilität“ des Vereins bewertet.
Fenerbahçe hat in seiner Geschichte bislang keine vorzeitige Abwahl eines Vorstands erlebt. Die bisherigen Präsidenten wie Ali Şen oder Aziz Yıldırım blieben über Jahre hinweg im Amt, meist ohne öffentlich wirksame Kritik oder innerparteiliche Opposition. Während diese Präsidenten immerhin sportliche Erfolge vorweisen konnten, bleibt Koç bisher, zumindest im Kerngeschäft Fußball, ein nationaler Titelgewinn verwehrt – trotz großer finanzieller Mittel und internationaler Aufmerksamkeit.
Vor diesem Hintergrund sehen Kritiker in seiner Argumentation eine Art Immunisierung gegenüber demokratischer Kontrolle. Die Bezeichnung demokratischer Verfahren als „ungeeignet“ oder gar als Gefahr für die Zukunft des Vereins wirft Fragen nach dem Selbstverständnis der Vereinsführung auf.
Autokratische Tendenzen?
Während Koç in früheren Jahren als Vertreter eines offenen, westlich geprägten Führungsstils galt, treten nun nationalistisch-autoritär wirkende Tendenzen in den Vordergrund. Seine Besuche beim MHP-Vorsitzenden Devlet Bahçeli sowie die Wortwahl in der aktuellen Rede deuten auf einen möglichen Kurswechsel hin – weg von demokratischer Beteiligung, hin zu zentralistischer Kontrolle im Namen von Stabilität und Einheit.
Die Frage nach dem Stellenwert demokratischer Mitbestimmung in einem der größten Sportvereine der Türkei ist offener denn je. Vielmehr wirkt Koç von der türkischen Lebenswirklichkeit und den politischen Verhältnissen im Land getrieben. Schlummert in ihm ein neuer, mächtiger Autokrat nach dem Vorbild des aktuellen Staatspräsidenten?
Trotz Gegenwind: Mourinho soll bleiben
Dass die Neuwahl erst im September stattfinden soll – also nach Beginn der neuen Saison und nach Abschluss der Transferperiode –, lässt sich strategisch deuten. Sollte Koç bis dahin sportlich erfolgreiche Entscheidungen treffen, etwa durch Transfers, könnte er seine angeschlagene Position vor der Wahl stärken. Gleichzeitig birgt dieser Zeitplan das Risiko, dass ein möglicher neuer Vorstand mit weitreichenden Entscheidungen seines Vorgängers leben muss, ohne selbst Einfluss auf diese genommen zu haben.
Ein weiteres Detail: Koç stärkte in seiner Rede ausdrücklich Trainer José Mourinho, der intern mehr als umstritten ist. Insbesondere Vizepräsident Acun Ilıcalı hatte sich gegen ein Festhalten an Mourinho ausgesprochen. Koç entschied sich dennoch für den Trainer – auf Kosten seines Stellvertreters. Der interne Richtungsstreit wurde somit öffentlich sichtbar. Und wohl auch der erste autokratische Durchgriff.