Menschenrechtsorganisationen fordern Europarat zu Konsequenzen gegen Türkei auf

Vor dem Europarat in Straßburg demonstrierten tausende Menschen für die Einhaltung von Menschenrechten in der Türkei. Organisationen wie „Peaceful Actions“ und „Human Rights Defenders“ fordern klare Maßnahmen gegen Ankaras Missachtung von EGMR-Urteilen.
Mehrere zivilgesellschaftliche Vereinigungen, darunter auch das Bündnis „Peaceful Actions“, haben vor dem Gebäude des Europarates in Straßburg gegen die türkische Regierung demonstriert. Sie forderten das Gremium auf, konkretere Schritte zu unternehmen, um die Führung in Ankara zur Umsetzung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu veranlassen.
Hintergrund des Protests ist die wiederholte und systematische Missachtung von Urteilen des EGMR durch die Türkei. Es war die vierte Demonstration vor dem Europaratsgebäude, die zivilgesellschaftliche türkische Organisationen vor dem Europaratsgebäude durchgeführt hatten. Mehrere tausend Menschen nahmen an der Veranstaltung teil, die unter dem Motto „Gerechtigkeit für alle“ stand.
Peaceful Actions: „Praxis ein Spiegelbild der aktuellen Türkei“
Peaceful Actions betonte, dass die Praxis der Türkei, verbindliche Urteile des EGMR nicht umzusetzen, die Lage im Land widerspiegele. Die Achtung des Rechts und die verfassungsrechtlichen Garantien der Grundrechte seien nicht mehr gewährleistet, die Rechtsstaatlichkeit stehe nur noch auf dem Papier.
In einer Erklärung der Organisation wird auf Fälle wie jene von Yüksel Yalçınkaya, Osman Kavala oder Selahattin Demirtaş hingewiesen. Diese prominenten Fälle, die vor dem EGMR gelandet seien und Recht bekommen hätten, stünden exemplarisch für hunderttausende Menschen in den Fängen türkischer Willkürjustiz.
Es zeichne sich immer mehr ab, dass die Justiz in der Türkei nicht unabhängig sei und politischer Druck Vorrang vor der Gesetzmäßigkeit habe. Angesichts dieser Entwicklungen könne man nicht schweigen, heißt es weiter, und: „Wenn wir ‚Gerechtigkeit für alle‘ wollen, müssen zuerst die Entscheidungen des EGMR umgesetzt werden.“
Politische Repression in der Türkei erreicht neue Qualität
Die jüngsten Entwicklungen wie die politischen Haftbefehle gegen Istanbuls Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu und immer mehr führende Mitglieder der größten Oppositionspartei sprechen Bände. Dieser Auffassung ist auch Hüseyin Demir von der Organisation Human Rights Defenders. „Dass jetzt auch offen gegen Führungspersönlichkeiten der CHP vorgegangen wird, stellt eine neue Qualität der politischen Repression in der Türkei dar. Zuvor ging es hauptsächlich gegen Vereinigungen, die man leicht durch eigene Medienmacht dämonisieren konnte. Mittlerweile schreckt man nicht einmal mehr davor zurück, die Wahlsieger von 2024 ins Visier zu nehmen“, äußerte er gegenüber dem DTJ.
Auf die Justiz könnten die Betroffenen in der Türkei nicht mehr hoffen, denn diese sei nicht mehr in der Lage, dem politischen Druck standzuhalten. Aber auch unabhängige Journalisten hätten in der Türkei mittlerweile zu viel Angst um ihre Existenz, um noch Willen zu kritischer Berichterstattung zu entfalten. Auch die Reste der Zivilgesellschaft in der Türkei trauten sich kaum noch, aufzubegehren, weil mit immer größerer Polizeigewalt auf Demonstrationen reagiert werde.
Verfolgung, Inhaftierung, Stigmatisierung – der Preis für Kritik
In der Yalçınkaya-Entscheidung des EGMR sei insbesondere die Willkür im Umgang mit der Gülen-Bewegung hervorgehoben worden. Nach wie vor würden, so die Erklärung von Peaceful Actions, Tag für Tag dutzende Menschen willkürlich inhaftiert: „Die haltlosen Terrorismusvorwürfe erstrecken sich jetzt auch auf Kinder, aber auch auf Studentinnen.“
Kurdische Regierungskritiker würden unter den Verdacht der „terroristischen Propaganda“ gestellt. Journalisten, deren Berichterstattung der Führung in Ankara nicht gefalle, gerieten wegen „Verbreitung irreführender Informationen“ ins Visier der Justiz, Studenten wegen „Beleidigung des Präsidenten“. Man müsse jetzt die Stimme erheben, denn für Menschen, für die Gerechtigkeit zu spät komme, gebe es keine Gerechtigkeit mehr.
Peaceful Actions weist in seiner Erklärung auch darauf hin, dass allein seit dem 26. September 2023 mindestens 6.503 weitere Menschen aufgrund angeblicher Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung inhaftiert worden seien. An jenem Tag war die Entscheidung in Sachen Yalçınkaya ergangen.
Menschenrechtsorganisationen fordern auch deutschen Druck auf Türkei
Mit der Freiheitsberaubung ende es jedoch nicht. Menschen in Gefängnissen hätten keinen Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung. Die Familien der Betroffenen litten unter sozialer Ausgrenzung, Stigmatisierung und ernsthafter wirtschaftlicher Not. Aus Sicht von Peaceful Actions seien die internationalen Verträge, die die Türkei unterzeichnet habe, die einzige Hoffnung für zehntausende Menschen, die der Autoritarismus in der Türkei bedrohe. Dazu sei es allerdings auch erforderlich, dass der Europarat seiner Pflicht zur Durchsetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention nachkomme.
Auch Hüseyin Demir sieht hier Handlungsbedarf. Deutschland solle hier ebenfalls diplomatischen Druck ausüben, betont der Präsident der Human Rights Defenders. Gegenüber dem DTJ unterstreicht er: „Deutschland als einer der wichtigsten wirtschaftlichen und geopolitischen Partner der Türkei hat Möglichkeiten, seinen Einfluss in die Waagschale zu werfen. Man weiß um die Situation und will sie nicht hinnehmen. Es gibt aber diplomatische Druckmittel und es ist Zeit, sie zu nutzen.“