Gesellschaft

Nachruf auf einen Architekten der Liebe: Zum Gedenken an Thomas Michel

  • Dezember 1, 2025
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Nachruf auf einen Architekten der Liebe: Zum Gedenken an Thomas Michel

Von Abdullah Aymaz*

Manchmal sendet Gott der Allmächtige Seinen Dienern als Gnade solche Menschen, dass allein ihre Existenz in einem Ruhe und Vertrauen weckt und ein Tor zur Hoffnung öffnet. Menschen des Herzens, die anderen das Gute durch ihr bloßes Sein lehren… Thomas Michel war einer dieser Menschen. Er besaß sowohl eine Weisheit, die aus den Tiefen der christlichen Tradition stammte, als auch eine Anmut, die das gemeinsame Gewissen der Menschheit repräsentierte.

Seiner Familie, seinen Freunden, allen, die ihn kannten, und natürlich den Freiwilligen der Gülen-Bewegung, die den Schmerz dieses Abschieds tief empfinden, wünsche ich Geduld und Trost. Unser aller herzliches Beileid.

Schon wenn man ihn zum ersten Mal traf, breitete sich im Herzen eine Erleichterung aus; er lehrte nicht, indem er redete, sondern zuhörte; er näherte sich nicht, indem er urteilte, sondern verstand. Aus diesem Grund hat er im Herzen aller, die ihn kannten, einen außergewöhnlichen Platz eingenommen.

Wie Fethullah Gülen Hocaefendi oft betonte, ist das, was die Menschheit heute am meisten benötigt, ein „Klima der Liebe“. Thomas Michel war in diesem Klima herangewachsen; er war ein Repräsentant, ein Architekt dieses Klimas, der es in die ganze Welt trug. Wer mit ihm zusammensaß, weiß: Die Hingabe, die er zeigte, wenn er einem Menschen zuhörte, die Worte, die er wählte, um ein Herz nicht zu verletzen, jener tiefe Respekt, der in einer Runde mit verschiedenen Glaubensrichtungen spürbar war… All dies spiegelte seine innere Welt und seine Aufrichtigkeit gegenüber seinem Herrn wider.

„Wir Christen fürchten den Tod ebenso wenig wie die Muslime“

In seiner letzten Nachricht, in jenen bescheidenen Sätzen, die er aus Chiang Rai sandte, erteilte er uns eine weitere Lehre:

„Wir Christen fürchten den Tod ebenso wenig wie die Muslime; denn wir wissen, dass wir zu Gott zurückkehren, der uns liebt.“

Was für eine schlichte, was für eine wahrhaftige, was für eine herzberührende Hingabe… Dies beschrieb weniger einen Abschied als vielmehr den Frieden der Reise zu seinem Herrn. Und das mit einer Ruhe, die nicht das Ego, sondern das Herz sprechen ließ.

In derselben Nachricht sagte er mit Bezug auf die Freiwilligen der Gülen-Bewegung: „Ich bin dankbar für die vielen wunderbaren Menschen, die Gott mir in Hizmet (Selbstbezeichnung der Gülen-Bewegung, Anm. d. Red.) kennenlernen ließ.“ Dieses Wort ist sowohl ein Beispiel der Treue als auch ein klares Zeugnis, das das Wesen des Dialogs zusammenfasst, den er jahrelang mit uns führte. Er liebte uns, verstand uns, schloss uns in die Arme… Auch wir liebten ihn; wir sahen in ihm die Reinheit eines Dieners, der seinen Herrn suchte und Sein Wohlgefallen im Blick hatte.

Interreligiösen Dialog nicht als Konzept, sondern als Zustand gelebt

Unser treue Freund Thomas Michel hat im Herzen von Hizmet eine Spur hinterlassen, die nicht verblassen wird. Diese Spur ist nicht nur das Erbe seiner akademischen Arbeiten, seiner Bücher und Konferenzen; sie ist die lebenslange Wirkung eines Lächelns, eines Kompliments, eines gewonnenen Herzens. Er lebte den interreligiösen Dialog nicht als Konzept, sondern als Zustand. In seinen Gesprächen erhielten die Menschen nicht nur Wissen, sondern dachten neu darüber nach, was es bedeutet, ein Mensch zu sein.

In seiner Person haben wir gesehen, dass Unterschiede nicht zu Feindschaft, sondern zu Reichtum, und dass das Trennendenicht zu Extremismus, sondern zu einer Brücke der Herzlichkeit werden kann. Er erinnerte daran, dass die Wahrheit an jedem Ort in einer anderen Sprache zu jedem Menschen spricht; und dass es darauf ankommt, dieser Sprache mit Ehrfurcht zu lauschen. Einmal sagte er:

„Glaube bedeutet, die Liebe, die man für seinen Herrn empfindet, auch im Herzen anderer spüren zu können.“ Und genau diese Liebe war der Stoff, aus dem er gemacht war.

Michel hinterlässt eine Lücke – und auch ein Erbe

Heute ist er aus dieser Welt geschieden und hat eine Lücke hinterlassen. Doch gleichzeitig hinterließ er ein wunderschönes Erbe: die Verantwortung, jene feinsinnige und schwierige Reise namens Dialog ohne Unterbrechung fortzuführen. Mit Liebe, mit Respekt, mit einem bescheidenen Herzen…

Möge Gott uns vergönnen, jene Höflichkeit, jene Ruhe und jene menschliche Wärme fortzuführen, die wir von ihm lernten und deren Zeuge wir bei ihm stets waren.

Wir verabschieden heute einen wahrhaftigen Freund, einen Botschafter der Liebe, einen wahren Architekten des Dialogs.

Doch wir wissen: Jeder gute Samen, der auf die Erde fällt, wird sprießen. Auch die Samen, die er säte, werden in den Herzen weiter sprießen.

Möge seine Seele Frieden finden.

Thomas Michel SJ war ein international angesehener Jesuit, Theologe und Islamwissenschaftler, dessen umfassende philosophische, theologische und sprachwissenschaftliche Ausbildung ihn zu einem bedeutenden Experten für den interreligiösen Dialog machte. Er kennt Fethullah Gülen und die von ihm inspirierte Bewegung seit den 1980er-Jahren und schätzte an ihr insbesondere den Fokus auf Bildung, Verständigung und gesellschaftliche Verantwortung. Diese inhaltliche Nähe und fachliche Wertschätzung führten dazu, dass Michel Gülen über viele Jahre hinweg als respektvollen Gesprächspartner und guten Freund betrachtete. Ende November 2025 verstarb er.

* Abdullah Aymaz ist Aufsichtsratsvorsitzender der Stiftung Dialog und Bildung.

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