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Neuer Beraterkreis „Islamismusprävention“: Chancen nutzen, Erfahrung sichern

  • Dezember 9, 2025
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Neuer Beraterkreis „Islamismusprävention“: Chancen nutzen, Erfahrung sichern

Vor einigen Wochen wurde bekannt, dass es Änderungen im Beraterkreis geben wird, der sich mit Islamismus auseinandersetzt. Es entstehe der Eindruck, dass das Bundesinnenministerium die richtige Absicht verfolgt, jedoch wertvolle Expertise nur teilweise berücksichtigt, findet Ercan Karakoyun.

Sicherheitspolitische Schwerpunkte von Zeit zu Zeit neu zu justieren, ist ein natürlicher Bestandteil einer lebendigen Demokratie. Ebenso wichtig ist es jedoch, bewährte Erfahrungen zu bewahren und auf dem aufzubauen, was sich in der Praxis als wirksam erwiesen hat. Mit der Neuaufstellung des „Beraterkreis Islamismusprävention und Islamismusbekämpfung“ entsteht der Eindruck, dass das Bundesinnenministerium die richtige Absicht verfolgt, jedoch wertvolle Expertise nur teilweise berücksichtigt.

Erfahrungskompetenz weiter einbinden

Gerade jene Fachleute, die seit Jahren an zentraler Stelle in der Deradikalisierung tätig sind – etwa Claudia Dantschke oder Thomas Mücke –, verfügen über tiefes Wissen über Szenen, Rekrutierungsmechanismen und präventive Ansätze. Ihre langjährige praktische Expertise bleibt ein entscheidender Baustein erfolgreicher Präventionsarbeit und sollte daher weiterhin eine maßgebliche Rolle spielen.

Die neue Zusammensetzung des Gremiums bringt zwar unterschiedliche Perspektiven ein, doch wäre es ein Gewinn, diese Vielfalt durch ausgewogenere Stimmen zu ergänzen – insbesondere durch solche, die sich in der direkten Arbeit mit Jugendlichen und betroffenen Communities bewährt haben. Denn Prävention lebt von Vertrauen; sie gelingt dort am besten, wo Dialogbereitschaft und praktische Nähe zusammenkommen.

Begriffe klar definieren – für Orientierung statt Verunsicherung

Offenbar soll die neue Linie des Ministeriums auch durch einen unklaren Begriff gestützt werden, der weder im Gesetz noch in der Rechtsprechung definiert ist: der „legalistische Islamismus“. Dieser Begriff wird zunehmend verwendet, ist jedoch rechtlich und fachlich bislang nicht eindeutig definiert. Eine präzise, transparente Begriffsverwendung wäre wertvoll, um Missverständnisse zu vermeiden und um sicherzustellen, dass sich Maßnahmen klar auf extremistisches Verhalten und nicht auf traditionell religiöse Lebensweisen beziehen. Ein demokratischer Staat muss Extremismus entschieden entgegentreten, gleichzeitig jedoch sensibel darauf achten, keine pauschalen Verdächtigungen entstehen zu lassen.

Mehr Einbindung statt Zuschreibung

Die Präventionsarbeit profitiert davon, wenn Muslime, die Teil der Lösung sein wollen, aktiv eingebunden werden. Die Beteiligung engagierter muslimischer Fachpersonen wie Dr. Mouhanad Khorchide und Aladdin Sarhan ist ein Schritt in die richtige Richtung. Eine breitere Repräsentation könnte jedoch dazu beitragen, Vertrauen zu stärken und die gesellschaftlichen Ressourcen möglichst vollständig zu nutzen.

Eine offene, dialogorientierte Zusammensetzung sendet ein starkes Signal: dass Prävention nicht über Menschen hinweg, sondern mit ihnen gemeinsam gestaltet wird.

Konsequenz und Augenmaß verbinden

Islamismus stellt zweifellos eine ernstzunehmende Herausforderung dar, und antisemitische oder demokratiefeindliche Tendenzen verdienen ein klares und entschlossenes staatliches Vorgehen. Entschlossenheit schließt jedoch Differenzierung und Partnerschaft nicht aus – im Gegenteil: Sie macht Prävention wirksamer.

Die langjährig erfahrenen Praktikerinnen und Praktiker, die über fundiertes Wissen aus der täglichen Arbeit verfügen, können einen wichtigen Beitrag leisten, um junge Menschen frühzeitig zu erreichen und neue Wege aus der Radikalisierungsgefahr aufzuzeigen.

Für eine starke, vor allem gemeinsame Präventionskultur

Ein moderner Staat sollte Prävention als gemeinschaftliche Aufgabe betrachten. Das bedeutet, Türen zu öffnen statt Barrieren zu errichten – insbesondere gegenüber jenen Teilen der Bevölkerung, die selbst aktiv zur Lösung beitragen wollen.

Vertrauen entsteht durch Sachlichkeit, Augenmaß und eine klare, aber einladende Haltung. Eine breit aufgestellte, partnerschaftliche Präventionspolitik stärkt die gesellschaftliche Einheit und trägt dazu bei, Extremismus jeder Art effektiv entgegenzutreten.

Die Neubesetzung des Gremiums bietet die Chance, neu zu justieren und die gesammelten Erfahrungen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Praxis zusammenzuführen. Entscheidend wird sein, dass im weiteren Verlauf alle relevanten Stimmen gehört und eingebunden werden – für eine Präventionsarbeit, die glaubwürdig, nachhaltig und im Sinne unserer demokratischen Gesellschaft wirkt.

Ercan Karakoyun ist Vorsitzender der Stiftung Dialog und Bildung, die über die Ursprünge, die Entwicklung und die Aktivitäten der Gülen-Bewegung in Deutschland sowie über die Ideen und die Arbeit Fethullah Gülens informiert. Er setzt sich seit vielen Jahren für interkulturellen Dialog und Bildungsarbeit ein. Als Mitgründer und Kuratoriumsmitglied des House of One engagiert er sich zudem für ein interreligiöses Bet- und Lehrhaus der drei monotheistischen Religionen.

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Ercan Karakoyun