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EURO2024

Niederlande dreht das Spiel: Türkei verpasst EM-Halbfinale nur knapp

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Es hat nicht sein sollen: Mit Tränen in den Augen bedankt sich Kapitän Hakan Çalhanoğlu von der Türkei neben Trainer Vincenzo Montella (l.) nach der Niederlage gegen Holland bei den Fans. Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa
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Zur Halbzeit und lange danach führte die Türkei im EM-Viertelfinale vor den Augen ihres Präsidenten gegen die Niederlande. Doch dran drehte die Elftal das Spiel binnen weniger Minuten und gewann mit 2:1. Eine Schlussoffensive konnte das EM-Aus der Türkei nicht mehr abwenden.

Arm in Arm feierten die nervenstarken Niederländer um Kapitän Virgil van Dijk vor der Kurve ihrer Fans den Einzug ins EM-Halbfinale. Die türkischen Spieler von Nationaltrainer Vincenzo Montella verharrten dagegen erstmal geschockt auf dem Rasen im Berliner Hexenkessel. Das Team von Bondscoach Ronald Koeman gewann das hochbrisante Viertelfinale gegen die Türkei im Olympiastadion dank einer Leistungssteigerung in der zweiten Halbzeit mit 2:1 (0:1).

Die von Joker Wout Weghorst angetriebene Niederlande darf damit weiter auf den zweiten EM-Triumph auf deutschem Boden nach 1988 hoffen. „Es war eine richtige Schlacht, die Türken haben viel Herz und große Qualität. Wir haben echt leiden müssen“, berichtete „Man of the match“ Stefan de Vrij, der den Ausgleich erzielte. „Es war insgesamt ein super Spiel.“

Wie Demiral: Akaydın trifft per Kopf

Ausgerechnet Samet Akaydın (35. Minute), der für den wegen seines Wolfsgrußes gesperrten Merih Demiral in die Startelf rückte, hatte die Türken vor den Augen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und des ehemaligen deutschen Nationalspielers Mesut Özil in Führung gebracht. De Vrij (70.) und ein Eigentor von Mert Müldür (76.), der von Cody Gakpo unter Druck gesetzt wurde, drehten die Partie und sorgten für eine ausgelassene Oranje-Party. Im Halbfinale warten am Mittwoch die bislang wenig überzeugenden Engländer. In der Nachspielzeit gab es noch Rot gegen Bertuğ Yıldırım von der türkischen Bank.

Für die Türken hat die EM nach den politischen Turbulenzen wegen des Wolfsgruß-Jubels des daraufhin für zwei Spiele gesperrten Demiral damit auch sportlich ein bitteres Ende gefunden. Dabei hatten sie zunächst dem Druck getrotzt und waren über weite Strecken das leicht bessere Team gewesen. Den Traum vom ersten Halbfinaleinzug bei einer EM seit 16 Jahren zerschlugen sie sich durch Unkonzentriertheiten in der Schlussphase.

Nichts für schwache Nerven. Hunderttausende Fans fieberten mit der türkischen Nationalmannschaft mit, hier beim Public Viewing auf einer Fanmeile. Foto: Fabian Sommer/dpa

Leidenschaftliche Türken, verspielte Holländer

Die Türken gingen mit reichlich Trotz in die Partie. „Wir werden sogar noch leidenschaftlicher und stolzer sein“, hatte Trainer Montella angekündigt, gleichzeitig von seinen Spielern aber auch gefordert: „Wir müssen unsere Emotionen drosseln.“

Wie wichtig diese Balance ist, zeigte die Anfangsphase. Die niederländische Offensive mit den trickreichen Gakpo, Xavi Simons und Memphis Depay lief mit viel Tempo auf das gegnerische Tor zu, wirkte dabei aber oft zu verspielt. Die Türken verteidigten mit Zweikampfhärte und Leidenschaft – und erarbeiteten sich ab Mitte der ersten Halbzeit auch mehr Ballbesitz.

Ex-Beşiktaş-Stürmer Weghorst belebt das Oranje-Spiel

Auch bei Standards von Hakan Çalhanoğlu, der nach abgesessener Gelbsperre im zentralen Mittelfeld neben dem Dortmunder Salih Özcan wieder Regie führte, kam Gefahr auf. So fiel auch die Führung: Nach einer Ecke des Ex-Bundesligaprofis landete der Ball bei Arda Güler, und der 19-Jährige servierte Torschütze Akaydın eine maßgeschneiderte Flanke auf den Kopf. Demiral applaudierte auf der Tribüne und war naturgemäß gut gelaunt – auf einen erneuten Wolfsgruß verzichtete er aber im Gegensatz zu zahlreichen Fans im Stadion.

Bondscoach Koeman reagierte zur Pause und brachte Top-Joker Weghorst für den enttäuschenden Steven Bergwijn. Der in der Vorsaison an Hoffenheim ausgeliehene Weghorst, der einst auch für Beşiktaş Istanbul auflief, sorgte auch für mehr Schwung im Angriffsspiel von Oranje. Die Türken wagten sich nun weniger nach vorne, hatten durch Gülers Pfosten-Freistoß (56.) und Kenan Yıldız (65.) gute Chancen auf das 2:0. Doch dann folgte die erfolgreiche Aufholjagd für die in der Schlussphase deutlich besseren Niederländer. Sie hielten den anstürmenden Türken stand, vor allem Keeper Bart Verbruggen zeichnete sich entscheidend aus. In der Nachspielzeit rettete er in höchster Not gegen den eingewechselten Semih Kılıçsoy.

Türkischer Teammanager Altıntop: Wolfsgruß-Debatte „unfair“

Der Teammanager der türkischen Fußball-Nationalmannschaft, Hamit Altıntop (41), bezeichnete die Debatte vor Anpfiff als „unfair“. Spuren habe die Diskussion bei seinem Team nicht hinterlassen, sagte der frühere Bundesligaprofi des FC Schalke 04 und von Bayern München bei MagentaTV. „Trotzdem ist es unfair, weil man die Geschichte und Kultur der Türkei nicht kennt.“

Nach Altıntops Ansicht habe es sich um „Falschinformationen in der Presse“ gehandelt, Politiker hätten dies „teilweise“ ausgenutzt. „Das ist unfair.“ Konkreter wurde der ehemalige Nationalspieler nicht. „Wir sind alle erwachsen genug, um mal einen Historiker dazuzuholen und die Türkei besser kennenzulernen“, empfahl Altıntop und verwies auf die jahrtausendelange Geschichte des Landes. „Im Nachhinein wurde so eine Riesenblase daraus gemacht“, fand er.

„Am Ende ist es für uns wichtig, dass wir uns auf das Wesentliche konzentrieren: guten Fußball zu spielen und ein vernünftiges Verhalten an den Tag zu legen“, sagte Altıntop. „Wir wollen daraus keine größere Sache machen, als sie schon ist.“

dpa/dtj