Ob in der alten kemalistischen oder in Erdoğans neuer Türkei – kritische Medien haben es schwer

„Wir müssen draußen warten“, hieß es für die Vertreter von gleich 12 Medienorganen anlässlich des außerordentlichen Parteikongresses der regierenden Adalet ve Kalkınma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung; AKP) am Mittwoch in der Ankara Arena. Ihnen wurde die Akkreditierung zum Kongress verweigert.
Betroffen waren Publikationen unterschiedlichster politischer Richtungen, von den Tageszeitungen Zaman und Today’s Zaman oder dem TV-Sender Samanyolu TV, die aus der Hizmet-Bewegung entstanden sind, über die orthodox-kemalistische Yeni Çağ oder die gewerkschaftsnahe BirGün bis hin zur linksnationalistischen Aydınlık oder zur marxistisch-leninistischen Evrensel.
Diese Entscheidung der AKP hat massive Kritik seitens führender Journalistenverbände hervorgerufen.
Die Vereinigung der Progressiven Journalisten (ÇGD) verurteilte diese Restriktionen bereits am Mittwoch scharf. Verbote für Medien seien kein Phänomens der AKP-Politik. Die Türkei sei zu einem Land geworden, in dem hunderte Journalisten inhaftiert seien, Politiker durch Telefonanrufe die Entlassung von Journalisten veranlassen könnten und Reporter lediglich „vorherbestimmte“ Fragen stellen dürften, so der Verband. Dies zeige, dass Erdoğans „Neue Türkei“ auf dem Weg ist, identisch mit der alten Türkei zu werden.
Der neu gewählte Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hatte am Wahlabend in seiner Siegesrede eine „neue Türkei“ angekündigt, in der es nationale Versöhnung und eine „ausgewogenere“ Vorgehensweise sowohl in der Innen- als auch in der Außenpolitik geben würde, versprochen.
Türkischer Presserat: „Neue Türkei mit alten Gewohnheiten“
Der Türkische Presserat äußerte in einer schriftlichen Erklärung am Mittwoch, dass es eines der Hauptprinzipien einer demokratischen Gesellschaft sei, auf alle Segmente der Gesellschaft zuzugehen und keine Diskriminierung zu praktizieren. „Alte Gewohnheiten“, wie man sie nun einigen Medien gegenüber praktiziere, würden nicht in die „neue Türkei“ passen.
Auch die Türkische Journalistenvereinigung (TGC) verurteilte die „Blockade“ nicht regierungstreuer Medien und das damit verbundene Vorenthalten eigentlich frei zugänglicher Informationen. Das Akkreditieren sollte der Presse selbst überlassen werden, meinte die TGC.
Medienberichten zufolge soll die Medienabteilung der AKP die „Aussperrung“ bestimmter Presseorgane mit der momentanen „Konjunktur“ begründet haben.
Auch aus der Politik gab es kritische Stimmen. So verglich der unabhängige Abgeordnete İdris Bal (Kütahya) die Zutrittsverbote mit Praktiken früherer Regierungen. Der stellvertretende Vorsitzende der Cumhuriyet Halk Partisi (Republikanische Volkspartei; CHP), Haluk Koç, meinte, die Liste derer, die keine Akkreditierung bekommen hätten, sei faktisch eine Aufstellung der „Meister der Demokratie“.
Davutoğlu: „Bericht basiert nicht auf Fakten, sondern soll manipulieren“
Der europäische Vorsitzende von „Reporter ohne Grenzen“ (RSF), Johann Bihr, betonte in einer Stellungnahme, die Wahl eines neuen Premierministers sei ein bedeutendes politisches Ereignis, weshalb alle Medien die Möglichkeit haben sollten, darüber im öffentlichen Interesse zu berichten. „Kritischen Medien (gleich welcher politischer Ausrichtung) den Zutritt zu verweigern, ist ein Zeichen von Zensur. Wir fordern [die AKP] dazu auf, solche Praktiken zu beenden, da diese das verfassungsmäßige Prinzip der Freiheit auf Meinungsäußerung und von der Türkei unterzeichnete, internationale Vereinbarungen verletzen“, betonte Bihr.
Von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gab es bis dato noch keine Stellungnahme zu den Restriktionen.
Die in den USA ansässige Organisation Freedom House hatte im Mai 2014 in ihrem Bericht über die weltweite Pressefreiheit die Türkei von „teilweise frei“ auf „nicht frei“ herabgestuft. Dabei habe die Türkei die negativste Entwicklung in ganz Europa erfahren, hieß es in dem Bericht. Der damalige Außenminister und nunmehrige Premierminister Ahmet Davutoğlu hatte den Bericht scharf kritisiert und ihn als einen Schritt bezeichnet, der „die Wahrnehmung der Türkei unter den Menschen manipulieren“ sollte. Er sei nicht auf objektive Fakten gestützt, und die Türkei sollte – einschließlich ihrer Journalisten – geschlossen dagegen auftreten.