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Angesehenes Internetportal Qantara vor dem Aus
350 000 Follower und 70 000 Artikel im Archiv scheinen für das Auswärtige Amt kein ausreichender Grund zu sein, das Internetportal Qantara weiter zu fördern. Mit Ende des Jahres könnte die Plattform damit vor dem Aus stehen. (Foto: qantara.de)
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Zukunftsangst bei der Redaktion des Internetportals „Qantara“ (=„Brücke“): Wie aus dem Auswärtigen Amt durchgesickert ist, soll die Finanzierung des Projekts durch die öffentliche Hand nur noch bis Ende des Jahres sichergestellt sein. Dies wurde in weiterer Folge auch dem Beirat mitgeteilt.
Damit könnte die seit März 2003 online präsente und von Chefredakteur Loay Mudhoon geleitete Plattform vor ihrem Ende stehen – ungeachtet dessen, dass ein vom Amt mit immerhin 40 000 Euro bezahltes Evaluationsteam kürzlich eine weitere Finanzierung bis mindestens 2019 empfohlen hatte und es Honorarverträge mit freien Mitarbeitern gibt, die über das Jahresende hinausreichen.
Qantara ist ein Internetportal der Deutschen Welle, dessen Aufgabe es sein soll, in mehreren Sprachen (derzeit Deutsch, Englisch, Arabisch und Türkisch) den intellektuellen Dialog mit der Kultur des Islam zu fördern.
Das Auswärtige Amt hatte es unter dem Eindruck der Entwicklungen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 konzipiert und als Kooperationspartner unter anderem die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), das Goethe-Institut (GI) und das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) gewonnen. Das Portal sollte die Verständigung zwischen den Kulturen fördern, Wissensdefizite beseitigen und Vorurteilen entgegenwirken.
Neben dem interreligiösen und interkulturellen Dialog und der kritischen Benennung von Gewalt verstärkenden Faktoren in der Region spielte auch die Berichterstattung über die Tätigkeit von NGOs und alternativen Projekten auf medialer und akademischer Ebene eine große Rolle. Konservative Kritiker bemängelten, dass Kräfte, die für eine Europäisierung des Islam eintraten und diesen mit westlichen Vorstellungen von Ökologie, Säkularismus oder Feminismus versetzen wollten, überdimensionale Aufmerksamkeit erfahren würden und betrachteten das Portal als Stimme eines „Euro-Islam“.
Evaluationsgutachten bescheinigte hohe Qualität und Glaubwürdigkeit
Das von der Leitung der Abteilung Kultur und Kommunikation im Auswärtigen Amt 2013 in Auftrag gegebene Evaluierungsgutachten hingegen bescheinigte dem Projekt, so berichtet die FAZ, „hohe Wertschätzung und Anerkennung als mediale Brücke zwischen Deutschland, Europa und der islamischen Welt“. Es sei ein „glaubwürdiges Instrument der auswärtigen Kulturpolitik Deutschlands“.
Dennoch scheint die Bundesregierung keinen Spielraum mehr für eine Finanzierung über das Ende des Jahres 2014 hinaus zu sehen. Gegenüber der FAZ hieß es lapidar: „Qantara wird auf jeden Fall bis Ende 2014 weiter gefördert.“
Sollte das Portal eingestellt werden, würde dies möglicherweise auch ein Ende des Onlinearchivs bedeuten, das immerhin mehr als 70 000 Artikel beinhaltet, die seit seinem Beginn im Jahre 2003 zusammengekommen waren. Analysen und Berichte im thematischen Umfeld der Terrorattacken seit 2000, des globalen „Djihadismus“, der Einbürgerungsdebatte, vor allem aber auch der Umwälzungen im Zuge der Aufstände des „Arabischen Frühlings“, die für ein rapides Anwachsen der Zugriffszahlen gesorgt hatten, wären mit einem Mal nicht mehr zugänglich.
Kritischer Blick auf autoritäre Machthaber und Hassprediger
Gab es bereits zuvor kaum Klagen über fehlendes qualitatives Niveau der Beiträge, wird man Qantara auch nicht unbedingt fehlenden Zuspruch attestieren können. Die Facebook-Auftritte Qantaras in deutscher, englischer und arabischer Sprache kommen zusammen auf fast 350 000 Likes, fast zwei Drittel davon betreffen die arabische Fassung. Eine Brückenfunktion scheint dem Portal damit auf jeden Fall zuzukommen.
Derzeit gebe es Beratungen über eine mögliche Anschlussförderung, die „von den zukünftigen Haushaltsspielräumen“ abhängen würde, heißt es laut FAZ in Berlin. Das Blatt gibt zu bedenken, dass sich „Stimmen aus den islamischen Ländern selbst, die sich kritisch mit dem Einfluss autoritärer Machthaber und Hassprediger auseinandersetzen“, in dieser Vielfalt auf kaum einer anderen Plattform fänden. Darüber seien die jährlichen Kosten von 300 000 Euro, die das Projekt in Anspruch nehme, ungleich günstiger als etwa jene für die Waffenlieferungen an irakische Kurden.