Flucht/Migration Gesellschaft Politik

Sicherheitsdebatte statt Lösungen: Wie Deutschland Migration falsch diskutiert

  • März 24, 2025
  • 6 min read
  • 70Anzeigen
Sicherheitsdebatte statt Lösungen: Wie Deutschland Migration falsch diskutiert

Die öffentliche Debatte über Migration wird zunehmend von vereinfachenden Narrativen dominiert, die zwischen Angst und Idealisierung schwanken. Sowohl restriktive Sicherheitsrhetorik als auch naive Vorstellungen von Vielfalt verkennen dabei die Komplexität der globalen Migrationsbewegungen und ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen.

Von Talha Güzel

In den letzten Monaten wurde Deutschland von einer Reihe tragischer Ereignisse erschüttert, die weit über die unmittelbare Tatkulisse hinaus politisch instrumentalisiert wurden. Die Vorfälle von Mannheim, Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg wühlten die Öffentlichkeit auf.

Die Bundestagswahl und der Wahlkampf im Vorfeld heizten die politische Debatte um Migration zusätzlich auf. Führende Politiker verschiedener Lager, von der CSU und CDU bis hin zu AfD, BSW und FDP, nutzten die abscheulichen Taten, um schnellere und oft radikalere Maßnahmen in der Asyl- und Migrationspolitik zu fordern. Schlagwörter wie „Grenzkontrolle“ dominieren, während die komplexen Ursachen von Flucht und Vertreibung weitestgehend ignoriert werden. Es wird suggeriert, dass wir einen unkontrollierbaren Zustrom von Gefahren erwarten müssten – ein gefährliches Narrativ, das ganze Menschengruppen stigmatisiert und entmenschlicht.

Diese Ereignisse und die darauffolgende politische Instrumentalisierung werfen grundlegende Fragen auf: Wird hier nicht nur die Realität von Migration verzerrt, sondern auch ein gefährliches Narrativ etabliert, das ganze Menschengruppen pauschal als Sicherheitsrisiko brandmarkt? In diesem Beitrag möchte ich der vereinfachenden und populistischen Debatte entgegentreten, indem ich die komplexen Ursachen und Herausforderungen der Migration beleuchte – jenseits der Schlagworte und politischer Propaganda.

Das menschenverachtende Narrativ der Sicherheitsdebatte

Die öffentliche Debatte über Migration wird immer wieder auf vereinfachte Schlagwörter reduziert – etwa „innere Sicherheit“ und „Grenzkontrolle“. Dabei entsteht der Eindruck, als würden wir kontinuierlich lauter Kriminelle ins Land lassen, die ein inhärentes Sicherheitsrisiko darstellen. Diese Rhetorik entmenschlicht Menschen in Not und reduziert sie auf pauschale Gefahrensymbole, statt sie als individuelle Menschen mit komplexen Lebensgeschichten zu begreifen.

Ein Mensch, der illegal nach Deutschland kommt, ist nicht per se kriminell. Die Bezeichnung „ausreisepflichtig“ kann oft auch bürokratische Gründe widerspiegeln, die wenig mit tatsächlichem Fehlverhalten zu tun haben und die Lebensumstände der Betroffenen in keinster Weise angemessen berücksichtigen. Indem der Fokus ausschließlich auf das vermeintliche Sicherheitsrisiko gelegt wird, werden Menschen in ein enges Korsett gesteckt, das ihre Menschlichkeit und ihre individuellen Geschichten ausblendet.

Ein besonders eindrückliches Beispiel ist der kürzlich von der CDU eingereichte Gesetzentwurf „Zustrombegrenzungsgesetz“. Bereits der Begriff „Zustrom“ veranschaulicht, wie flüchtende Menschen auf rein statistische Massen reduziert werden – als wäre Migration eine zu kontrollierende, unpersönliche Strömung, die den gesellschaftlichen Raum überflutet. Die individuellen Schicksale und die dahinterliegenden humanitären Dramen treten gänzlich in den Hintergrund. Diese Perspektive entmenschlicht und macht es leicht, politische Maßnahmen zu rechtfertigen, die sich mehr an bürokratischen Kategorien orientieren als an den realen Bedürfnissen der Betroffenen.

Diese vereinfachte Darstellung verkennt die Tatsache, dass Migration in erster Linie ein globales Phänomen ist, das von politischen, wirtschaftlichen und historischen Faktoren beeinflusst wird. Die Reduktion auf ein Sicherheitsrisiko führt dazu, dass ganze Menschengruppen stigmatisiert werden – als ob sie von Natur aus eine Gefahr darstellen würden. Statt die wahren Ursachen von Flucht und Vertreibung zu adressieren, wird ein Narrativ konstruiert, das Ängste schürt und die Bereitschaft für populistische, teils menschenverachtende Maßnahmen erhöht und den Abbau von Menschenwürde in Kauf nimmt. Gleichzeitig weisen vermehrt Studien darauf hin, dass ein Zusammenhang zwischen Migration und Kriminalitätsrate nicht nachweisbar ist.

Nur durch eine differenzierte Betrachtung und das Anerkennen der individuellen und oft schwierigen Lebenslagen der Betroffenen können wir einer einseitigen und entmenschlichenden Debatte entgegentreten. Es bedarf eines Diskurses, der die komplexen Hintergründe von Migration in den Blick nimmt und dabei die Menschenwürde unmissverständlich in den Mittelpunkt stellt.

Psychische Gesundheit: Die unsichtbare Krise hinter den Schlagzeilen

Hinter den Schlagzeilen und politischen Parolen verbergen sich oft individuelle Schicksale, die in seelischen Krisen und psychischen Erkrankungen kulminieren. Der tragische Vorfall in Aschaffenburg – ebenso wie vergleichbare Taten – verdeutlicht, dass psychische Belastungen und traumatische Erfahrungen zentrale Ursachen sind, die weit über einfache kriminalpolitische Argumente hinausgehen.

Mehr als 30 Psychiater und Wissenschaftler haben in einem offenen Brief an Friedrich Merz  darauf hingewiesen, dass solche Ereignisse nicht als Ausdruck einer inhärenten Gefahr durch Migration interpretiert werden dürfen. Vielmehr offenbaren sie, wie tief verwurzelte seelische Not und unzureichende psychologische Unterstützung in unserer Gesellschaft wirken – unabhängig von Herkunft und Status.

Dabei wird häufig übersehen, dass psychische Erkrankungen ein global verbreitetes Phänomen sind, das Menschen aller Bevölkerungsgruppen betreffen kann. Die Fluchterfahrung selbst, verbunden mit oft extremen Belastungen und Traumata, macht Menschen zusätzlich anfällig für psychische Krisen. Statt diese individuellen und gesellschaftlichen Herausforderungen anzuerkennen, wird in der politischen Debatte der Fokus auf restriktive Maßnahmen gelegt, die letztlich nicht die Wurzeln des Problems adressieren.

Es ist schlichtweg falsch, psychische Erkrankungen und Migrationsfragen in einen Topf zu werfen, um Abschiebungen zu rechtfertigen. Sicherheit entsteht nicht durch restriktive Gesetze, sondern durch Prävention und umfassende psychologische Betreuung. Die Vernachlässigung dieser Zusammenhänge ist ein Schlag ins Gesicht für all jene, die unter den Folgen von Traumata leiden.

Zwischen Angst und naiver Idealisierung

In der politischen Arena prallen unterschiedliche Narrative aufeinander, die das komplexe Thema Migration auf stark verzerrte Weise darstellen. Auf der einen Seite stehen Politiker, die Migration als ein in- und ausländisches Sicherheitsrisiko instrumentalisieren. Mit Aussagen, die Migranten als potenzielle Kriminelle oder gar als unheilvollen „Zustrom“ von Gefahren darstellen, wird nicht nur die Realität verzerrt, sondern auch eine Atmosphäre der Angst und Ablehnung geschürt.

Doch auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums zeigt sich eine problematische Verzerrung. Einige Vertreter linker Parteien, allen voran die Grünen, preisen Migration oft als einen reinen Gewinn für die Gesellschaft an, als sei Vielfalt automatisch mit Wohlstand und sozialem Fortschritt gleichzusetzen. Diese unreflektierte Begeisterung übersieht jedoch die tatsächlichen Herausforderungen, die mit der Integration vielfältiger Kulturen einhergehen. Einseitig positive Bilder verkennen, dass Vielfalt auch Konfliktpotenziale und strukturelle Herausforderungen mit sich bringt – Herausforderungen, die nur durch aktive Brückenbildung und gezielten interkulturellen Dialog überwunden werden können.

Letztlich trägt der politisch geführte Diskurs – sei es in Form von übertriebener Sicherheitsrhetorik oder unkritischer Idealisierung – dazu bei, die Komplexität von Migration zu verkennen. Anstatt differenzierte und faktenbasierte Lösungsansätze zu verfolgen, dominiert ein binäres Denken, das entweder Angst schürt oder naiv optimistische Erwartungen weckt. Für eine nachhaltige und humane Migrationspolitik bedarf es daher eines Diskurses, der die Realität in all ihren Facetten anerkennt – jenseits von populistischen Schlagworten und ideologischen Verzerrungen.

About Author

dtj-online