Politik
Erdoğans Traum von Macht und Größe
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Im Mittelmeer beansprucht die Türkei Gebiete. In Syrien besetzt sie von Kurden bewohntes Territorium. Und militärisch ist sie in Libyen, im Nordirak und in Katar aktiv. Was treibt Präsident Recep Tayyip Erdoğan an?
Die Schauplätze sind vielfältig, das Ziel scheint das gleiche: Die Türkei von Präsident Recep Tayyip Erdoğan treibt eine aggressive Expansionspolitik in der Region voran. Ihre Teilnahme an Konflikten um Bergkarabach, Syrien, Libyen oder die Seerechte im östlichen Mittelmeer belegen das – und rufen immer häufiger Widerstände hervor.
Warum setzt ein Nato-Mitgliedsstaat so sehr auf Eskalation? Als wichtiger Handelspartner Europas und als das Land, dass für die EU als Schutzwall für Millionen von Migranten fungiert, ist die Türkei ein wichtiger Akteur in der Region. Und der Präsident weiß das.
Neo-osmanische Außenpolitik
Seine Position nutzt Erdoğan, um Einfluss zu gewinnen. Und das hat er bereits. Im Mittelmeerraum, in Nordafrika und im Nahen Osten hat sich die Türkei als Macht etabliert. Um das Land kommt man dort nicht herum. Das ist das Ergebnis einer expansiven Außenpolitik Ankaras. Vorbei ist die Zeit einer neutralen Türkei nach dem Vorbild Kemal Atatürks.
Häufig wird die neue Außenpolitik als neo-osmanisch beschrieben. Ins Bild passt, dass Erdoğan den Vertrag von Lausanne, der 1923 das Ende des Osmanischen Reiches besiegelte, wiederholt als „Vertrag der Schande“ bezeichnete.
Doch ob der türkische Präsident tatsächlich das Osmanische Reich wieder aufleben lassen möchte, ist fraglich. Vielmehr geht es ihm um Prestige und Einfluss – gerade in wirtschaftlich schlechten Zeiten, um von der Misere im eigenen Land abzulenken.
Dass die Nato und ihr Generalsekretär Jens Stoltenberg sich im vergangenen Jahr genötigt sahen, die Türkei wegen der Militäroffensive in Syrien zurechtzuweisen, zeugt indes von Irritationen auf internationaler Ebene. Doch Erdoğan hat bereits in der Vergangenheit bewiesen, dass er zur Not als Einzelgänger für seine Interessen einsteht.
Alleinherrschaft in Nordsyrien
Sein Wille zur Alleinherrschaft auf fremdem Territorium zeigt sich besonders in Nordsyrien: Dort ließ er – nach der Besetzung von Teilen des kurdischen Autonomiegebietes durch syrische Söldner – türkische Statthalter installieren. Einzelne Gebiete sind seither de-facto türkisch.
Strom, Telekommunikation, die Währung sowie das Banken- und Postsystem kommen in diesen Gebieten aus der Türkei. Religiöse Einrichtungen werden von der türkischen Religionsbehörde Diyanet finanziert. Straßenschilder weisen in türkischer und arabischer Sprache den Weg. Kurdisch ist aus dem Alltag der Menschen verschwunden.
Dass Erdoğan in Ansprachen vor Soldaten und Söldnern in Syrien immer wieder historische Vergleich zu islamischen Erobern und zum Osmanischen Reich zieht, ist bedenklich. Angesichts seiner Politik scheint das zumindest mehr als reine Rhetorik zu sein.