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EURO2024

Türkei bei der EM: Noch Underdog oder schon Titelanwärter?

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Türkische Fans zeigen nach dem Sieg gegen Österreich ein Plakat mit der Aufschrift "Kebab größer Schnitzel". Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa
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Die türkischen Fans schwimmen auf einer Welle der Euphorie. Zwar traute man der Türkei das Erreichen des Achtelfinales zu, aber ein Sieg über Österreich? Dabei hat die Türkei historisch mehrfach bewiesen, dass sie eine starke Turniermannschaft sein kann. Bereits zweimal sorgte sie für Überraschungen.

Wer hätte gedacht, dass die Türkei bei der WM 2002 den dritten Platz holen würde? Niemand. Doch legendäre Spieler wie der ikonische Torwart Rüştü Reçber, der leidenschaftliche Verteidiger Bülent Korkmaz und der erfolgreichste türkische Stürmer aller Zeiten, Hakan Şükür, sind nur drei Namen, die in Japan und Südkorea für eine Sensation sorgten. Ähnlich erfolgreich war die Türkei auch bei der EM 2008.

Euro 2008: Nur Deutschland konnte die Türken aufhalten

Die türkische Nationalelf war bei der EM 2008 nicht totzukriegen. Im Halbfinale wurde sie schließlich mit ihren eigenen Mitteln geschlagen. Spieler wie Arda Turan, Hamit Altıntop, Nihat Kahveci, Tuncay Şanlı, Semih Şentürk, Volkan Demirel und viele andere machten die Mannschaft unvergesslich. Bei diesem Turnier verdienten sich die „Ay-Yıldızlılar“ den Titel „Last-Minute-Türken“. Grund dafür waren die Siegtreffer in fast letzter Sekunde in den Spielen gegen Tschechien, die Schweiz und Kroatien.

Deutschland setzte dem türkischen Sommermärchen ein Ende. Genau genommen war es der 3:2-Siegtreffer von Philipp Lahm. Damals war die Stimmung in Deutschland noch nicht so angespannt wie diesmal. Der politische Rückenwind für rechtspopulistische Parteien in Deutschland führt nun zu mehr Propaganda im Netz und auf den Straßen. Die Feierlichkeiten der türkischen Fans werden in den sozialen Medien scharf kritisiert. Je größer diese Kritik, desto provokanter verhalten sich einige Türkei-Fans. Doch die breite Masse der Fußball-Fans ist überaus friedlich und gemäßigt.

Türkische Fans sehen die Türkei zu unrecht behandelt

Dennoch gibt es Störfeuer. So können die türkischen Fans es kaum ertragen, dass ihre erfolgreiche Mannschaft in den Kommentaren immer wieder als Underdog bezeichnet wird. „Wie oft sollen wir es euch noch beweisen?“, fragt ein türkischer Fan in den sozialen Medien. Schließlich habe die Türkei mit Österreich einen Geheimfavoriten bezwungen. Es wird gefordert, spätestens ab dem Viertelfinale alle Mannschaften auf Augenhöhe zu betrachten. Für viele Fans ist die Türkei längst ein Titelanwärter.

Ob es tatsächlich so weit kommt, bleibt abzuwarten. Schließlich spielen zahlreiche Faktoren auf und neben dem Platz eine Rolle beim Ausgang eines solchen Turniers. Theoretisch muss diese junge türkische Mannschaft nur noch dreimal gewinnen, um den großen Traum vom EM-Titel wahr werden zu lassen. Um zumindest bis ins Finale zu kommen, muss im Viertelfinale heute ab 21 Uhr die Niederlande und im Halbfinale am Mittwoch der Sieger der Partie England-Schweiz geschlagen werden.

Türkei und Deutschland hätten erst im Finale aufeinander treffen können

Wer wird dann im Finale warten? Seit gestern ist klar: Deutschland nicht. Die Nagelsmann-Elf schlug sich gegen Spanien wacker, verlor aber letztlich knapp in der Verlängerung. Daneben stehen die Minimalisten aus Frankreich im Halbfinale. In einem spannenden, aber langweiligen Duell setzten sie sich nach Elfmeterschießen gegen Portugal durch, gegen das die türkische Nationalmannschaft ihren bislang schwächsten Auftritt im Turnier hatte. Das aber ist längst vergessen. Die Türken träumen, und das zurecht. Selbst der Eklat um den Wolfsgruß des nun von der UEFA gesperrten Merih Demiral tut dem keinen Abbruch.

Eklat um Wolfsgruß: UEFA sperrt Türkei-Abwehrspieler Demiral

Die Türkei kann, so glauben die meisten türkischen Fans inzwischen, das Finale als realistisches Ziel betrachten. Selbst wenn man in der nächsten Partie ausscheiden sollte, sei das laut einem jungen Fan aus Wuppertal kein Grund zur Enttäuschung. „Wer so weit gekommen ist, darf sich zu den möglichen Siegern des Turniers zählen“, so der Türkei-Anhänger. „Das ist doch klar! Wer Österreich schlägt und souverän ins Viertelfinale zieht, dem darf das gegönnt sein.“

Die Türkei und ihre Fans sind eine Bereicherung für Deutschland

Auch eine Anhängerin aus Velbert glaubt an den Sieg der Türkei gegen Holland. Die Mutter zweier Söhne bezieht sich auf die Aussagen türkischer Fußballer nach dem Spiel gegen Österreich: „Ein Spieler sagte, dass sie sich im Stande sehen, jeden Gegner zu schlagen. Sie wollen aber von Spiel zu Spiel denken. Das finde ich richtig“, so die Deutsch-Türkin. Es sei nach dem EM-Sensationssieg von Griechenland beim Turnier 2004 in Portugal wieder Zeit für ein Ausrufezeichen einer Mannschaft, die man nicht von Beginn an auf dem Schirm hatte.

Dass die türkischen Fans in den sozialen Medien und in den Medien, allen voran der Bild-Zeitung, als Negativbeispiel angeführt werden, können beide nicht verstehen. Das sei nur ein weiterer Beweis für die andauernde Diskriminierung von Türkeistämmigen in Deutschland. „Mit den Türken hat Deutschland eine sehr loyale, respektvolle und lebensfrohe Gemeinschaft im Land. Diese sollten wertgeschätzt werden und nicht respektlos behandelt werden“, lässt die junge Mutter ihren Frust raus.