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Türkei entließ seit 2016 fast 35.000 Lehrkräfte – Neue Zahlen zeigen Ausmaß der Säuberungen

  • November 27, 2025
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Türkei entließ seit 2016 fast 35.000 Lehrkräfte – Neue Zahlen zeigen Ausmaß der Säuberungen

Offizielle Daten aus dem türkischen Bildungsministerium zeigen das ganze Ausmaß der Säuberungen nach dem Putschversuch von 2016. Fast 35.000 Lehrkräfte und insgesamt mehr als 130.000 Staatsbedienstete verloren durch sogenannte KHK-Dekrete ihre Stellen – vielfach ohne rechtsstaatliche Prüfung. Die Folgen reichen bis heute.

Seit dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2016 hat die Türkei 34.795 Lehrerinnen und Lehrer entlassen, denen Verbindungen zur Gülen-Bewegung nachgesagt wurden. Dabei berief sich die Führung in Ankara auf die von ihr in Kraft gesetzten Notstandsgesetze. Diese Zahlen gehen aus offiziellen Aufzeichnungen des Bildungsministeriums hervor, teilt das „Stockholm Center for Freedom“ (SCF)* mit.

In nur 7.063 Fällen gab die Kommission zum Ausnahmezustand Rechtsmitteln statt, die Betroffene gegen ihre Entlassungen eingelegt hatten.

Säuberungen in der Türkei betrafen mehr als 130.000 Staatsdiener

Der von der türkischen Führung erklärte Ausnahmezustand (OHAL) wurde bis zum 19. Juli 2018 aufrechterhalten. Er gab der Regierung eine Grundlage für systematische Säuberungsaktionen im öffentlichen Dienst. Unter dem Vorwand der Bekämpfung angeblicher Putschgefahren erließen die zuständigen Stellen eine Vielzahl an Regierungsdekreten (KHK).

Betroffen waren insgesamt mehr als 130.000 Staatsbeamte, neben Lehrern unter anderem auch 4.156 Richter und Staatsanwälte und mehr als 24.000 Mitglieder der Armee. Sie wurden unter häufig fadenscheinigen Gründen summarisch aus ihren Ämtern entlassen. Man warf ihnen eine Verbindung zu „terroristischen Organisationen“ vor – häufig lediglich wegen der Nutzung bestimmter Apps oder des früheren Besuchs bestimmter Schulen. Eine parlamentarische oder unabhängige gerichtliche Kontrolle gab es de facto nicht.

Viele Betroffene verloren ihr gesamtes berufliches und soziales Umfeld. Menschen mit hohen akademischen Abschlüssen müssen seither in einfachen und oft schlecht abgesicherten Jobs arbeiten.

Systematische Vernichtung sozialer Existenzen

In Sozialversicherungs-Datenbanken wurden Vermerke angebracht, um mögliche Arbeitgeber abzuschrecken. Es gab eine Vielzahl an Restriktionen auf dem Arbeitsmarkt, die Betroffene von bestimmten Sektoren oder selbstständigen Tätigkeiten ausschlossen. In einigen Fällen kam es auch zu Todesfällen infolge von Arbeitsunfällen, nachdem frühere Beamte gefährliche Tätigkeiten ohne ausreichende Schutzmaßnahmen ausüben mussten.

Die systematische Diskriminierung und Verfolgung von Anhängern der Gülen-Bewegung in der Türkei begann bereits Ende 2013. Damals hatten Staatsanwälte Korruptionsermittlungen geführt, die auch Regierungskreise und sogar Familienmitglieder des damaligen Premierministers Recep Tayyip Erdoğan betrafen.

Diesem gelang es jedoch, die Ermittlungen zu stoppen und als einen vermeintlichen Putschversuch eines „Parallelstaats“ zu deklarieren. Schon damals gab es Säuberungen und Versetzungen innerhalb des Beamtenapparates. Als eine Gruppe von Militärs im Juli 2016 einen tatsächlichen Putschversuch unternahm, machte Erdoğan ohne belastbare Beweise die Gülen-Bewegung dafür verantwortlich. Die Verfolgung vermeintlicher oder tatsächlicher Angehöriger kannte von da an auch keine rechtsstaatlichen Grenzen mehr. Von den KHK-Entlassungen sind aber beileibe nicht nur Anhänger der Gülen-Bewegung betroffen.

* Das SCF ist eine 2017 gegründete gemeinnützige Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Stockholm, Schweden. Es sieht seine Mission darin, Rechtstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte zu fördern — mit besonderem Fokus auf die Lage in der Türkei. Die Organisation wird der Gülen-Bewegung zugerechnet.

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