
Nach 50 Tagen Haft wurde der schwedische Journalist Joakim Medin überraschend aus einem türkischen Gefängnis entlassen. Offiziell betonen schwedische Regierungsstellen diplomatische Bemühungen – doch Hinweise verdichten sich, dass es sich um einen politischen Deal zwischen den Geheimdiensten handelte. Leidtragende könnten kurdische Aktivisten und exilierte Journalisten sein.
Vor rund zwei Wochen wurde der schwedische Journalist Joakim Medin nach 50 Tagen in türkischer Haft entlassen und konnte zu seiner schwangeren Frau nach Hause zurückkehren. Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristersson machte auf X deutlich, dass diplomatische Bemühungen des Außenministeriums und Gespräche mit der Türkei zur Freilassung Medins beigetragen hatten.
Der für „Dagens ETC“ tätige 41-Jährige hatte in der Türkei über die Amtsenthebung des Oberbürgermeisters von Istanbul, Ekrem İmamoğlu, berichtet. Ende März wurde er bereits kurz nach seiner Landung in der Bosporusmetropole festgenommen. Schon zeitnah danach wurde er wegen „Beleidigung des Präsidenten“ und „Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Situation“ in Untersuchungshaft genommen. Damit meinte man die PKK – Medin hatte 2016 ein Buch über das kurdische Autonomiegebiet „Rojava“ im Norden Syriens verfasst.
Säpo-Aktion gegen kurdischen Aktivisten kurz vor Medins Freilassung
Nach mehreren Wochen wurde Medin dann doch aus dem Hochsicherheitsgefängnis in Silivri entlassen. Dass dies ohne Anklage geschah und er auch noch ausreisen durfte, konnte nur ein Resultat bilateraler Verhandlungen sein. Die Türkei hätte nicht damit rechnen können, dass der Journalist sich einem Prozess stellen würde.
Unklar blieb, was die Türkei von Schweden im Gegenzug für die Freilassung Medins erhalten hat. Seinem Journalistenkollegen Rasmus Canbäck von „Blankspot“ fiel jedoch auf, dass wenige Tage vor seiner Entlassung der kurdische Aktivist Shiyar Ali vom schwedischen Geheimdienst Säpo abgeführt und verhört wurde. Ali ist ein Vertreter der PYD, der führenden Partei in den syrischen Kurdengebieten, die in der Türkei als Ableger der PKK gilt.
Der „Blankspot“-Journalist lag mit seiner Vermutung, dass es dabei einen Zusammenhang mit der Freilassung Medins geben könne, nicht verkehrt. Ein Geheimdienstkenner mit langer Nahost-Erfahrung sprach mit Canbäck über die Hintergründe der Freilassung. Dieser bestätigte, dass Kader von Säpo und dem türkischen Nachrichtendienst MIT die Angelegenheit „geklärt“ hätten.
„Nordic Monitor“ im Fadenkreuz: Türkei fordert Schließung der Plattform
Die Razzia gegen den PYD-Vertreter war jedoch nicht die einzige Gefälligkeit, die sich der türkische MIT beim Säpo erhandelt hatte. Auch Abdullah Bozkurt, der Mitbegründer der Enthüllungsplattform „Nordic Monitor“, sollte durch den schwedischen Dienst im Gegenzug für Medins Freilassung „schikaniert“ werden.
Bozkurt betreibt seit 2019 die Plattform, die sich unter anderem mit Verfolgungen Oppositioneller in der Türkei und mit Menschenrechtsverletzungen der türkischen Führung befasst. Während der NATO-Beitrittsverhandlungen Schwedens hatte die Türkei offiziell die Schließung der Plattform und die Auslieferung von mutmaßlichen Angehörigen des Gülen-Netzwerks gefordert. Bozkurt stand dabei ganz oben auf der Liste.
Schweden leistete dem Ansinnen nicht Folge. Wie auch in anderen europäischen Länder hält man die von Ankara behauptete Existenz einer „Fethullahistischen Terrororganisation“ (FETÖ) nicht für glaubhaft. Entsprechend liefert man zwar unter Umständen PKK-Kader aus oder stellt sie selbst vor Gericht, da diese Organisation auch in der EU als terroristisch eingestuft ist. Im Gülen-Netzwerk sieht man jedoch keine problematische Vereinigung.
Ankara instrumentalisiert Karlow-Attentat für Propaganda gegen Gülen-Bewegung
Allerdings stehen Bozkurt und sein Kollege Levent Kenez seit Jahr und Tag im Visier direkter türkischer Nachstellungen. Beide erhalten Morddrohungen, werden eingeschüchtert und zum Gegenstand von Fake-News. Bozkurt wurde im September 2020 von Unbekannten vor seinem Haus körperlich angegriffen.
Im Jahr 2022 publizierte die regierungsnahe „Sabah“ einen „Exklusivbericht“ über ihn. Dabei wurde seine Wohnadresse genannt – und das Blatt unterstellte ihm eine Verbindung zu Mevlüt Mert Altıntaş. Der Polizist hatte im Dezember 2016 in Ankara den russischen Botschafter Andrej Karlow erschossen. Die türkische Regierungspropaganda stellte Altıntaş als Gülen-Anhänger und Bozkurt als Mastermind hinter dem Anschlagsplan dar.
Tatsächlich war der Attentäter ein Anhänger dschihadistischer Rebellen im syrischen Bürgerkrieg. Da die syrische Führung unter dem damaligen Präsidenten Baschar al-Assad mithilfe der russischen Luftwaffe die Rebellen aus Aleppo vertreiben konnte, gab es vor allem in regierungsnahen türkischen Kreisen Ressentiments gegen Russland. Bevor er von Sicherheitskräften erschossen wurde, rief Altıntaş Parolen aus, die den Willen zu einer „Rache für Aleppo“ erkennen ließen.
Schweden bestreitet „Kuhhandel“ um Medin-Freilassung
Journalistenverbände wie die Europäische Journalistenföderation (EFJ) und der Schwedische Journalistenverband verurteilten den mutmaßlichen türkisch-schwedischen Kuhhandel um die Medin-Freilassung scharf. EFJ-Präsidentin Maja Sever sprach von „politischer Erpressung“. Auch der Europarat sei eingeschaltet worden. Schwedens Migrationsministerin Maria Malmer Stenergard wies die Behauptungen über ein Tauschgeschäft zurück. Sie bestätigte jedoch, dass es eine Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsdiensten beider Länder gebe.