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Türkische Gefängnisse zu 140 Prozent ausgelastet – Häftlingszahl erreicht historischen Höchststand

  • Dezember 1, 2025
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Türkische Gefängnisse zu 140 Prozent ausgelastet – Häftlingszahl erreicht historischen Höchststand

Die Zahl der Strafgefangenen in der Türkei hat im November einen neuen Höchststand erreicht: 428.267 Menschen sitzen derzeit in Haft – rund 40 Prozent mehr, als das System offiziell aufnehmen kann. Neue Daten zeigen eine anhaltende Überbelegung, die eng mit politischen Entwicklungen der vergangenen Jahre verknüpft ist.

Die Zahl der in der Türkei in Strafhaft befindlichen Personen hat Anfang November 428.267 erreicht. Dies überschreitet die offizielle Kapazität um 40 Prozent, erläuterte das Stockholm Center for Freedom* unter Berufung auf Daten der Vereinigung „Zivilgesellschaft im Strafrechtssystem“ (CISST).

Den von der 2006 gegründeten Hilfsorganisation vorgelegten Daten zufolge liegt die Kapazität der 402 in der Türkei bestehenden Haftanstalten bei insgesamt 304.886. Allein im Oktober dieses Jahres seien fast 8.000 neue Strafgefangene dazugekommen.

Zahl der Gefangenen seit 2003 fast verfünffacht

Allein 4.682 davon sind Insassen von sogenannten Jugendbesserungszentren und den Abteilungen für Heranwachsende in Gefängnissen für Erwachsene. Auch 194 junge Frauen sind inhaftiert. Insgesamt 822 Kinder unter 6 Jahren leben gemeinsam mit ihren Müttern in Haftanstalten. Bereits im Jahr 2023 hatte der Europarat einen Bericht vorgelegt, dem zufolge die Türkei europaweit das Land mit den am Abstand meisten Gefängnisinsassen sei.

In der Zeit zwischen 2005 und 2023 ist die Zahl der Strafgefangenen in der Türkei um 439 Prozent gestiegen – auch dieser Zuwachs übersteigt alle anderen Länder in Europa. Die Führung in Ankara investiert weiter in die Expansion der Gefängnis-Infrastruktur. Allein in den kommenden drei Monaten ist die Eröffnung von sechs weiteren Gefängnissen geplant. Im nächsten Jahr sollen es neun sein, 2027 fünf und weitere zwei im Jahr 2028. Dann würde die Türkei über 424 Haftanstalten verfügen.

Systematische Verfolgung der Gülen-Bewegung als wesentlicher Faktor

Die größte Zunahme der Zahl an Gefängnisinsassen vollzog sich in den Jahren nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016. Dieses nahm die Führung um Präsident Recep Tayyip Erdoğan zum Anlass, die bereits seit Anfang 2014 geführte Verfolgung der Gülen-Bewegung enorm zu forcieren.

Bereits Ende 2013 hatte die AKP-Führung das Netzwerk zum „Parallelstaat“ erklärt. Anlass waren Korruptionsermittlungen im Dezember 2013, die auch die Regierung und das familiäre Umfeld des damaligen Premierministers Erdoğan betrafen.

Unter dem Vorwand, eine vermeintliche Verschwörung gegen die Regierung der Türkei niederzuschlagen, führte Erdoğan erste breit angelegte politische Säuberungen im Beamtenapparat durch. Im Mai 2016 erklärte die Führung in Ankara die Gülen-Bewegung zur „Terrororganisation FETÖ“. Nach dem Putschversuch im Juli machte Erdoğan das zivilgesellschaftliche Netzwerk für diesen verantwortlich.

Die Gülen-Bewegung weist die Vorwürfe kategorisch zurück, schließt allerdings nicht aus, das auch einzelne Beteiligte Verbindungen zur Bewegung gehabt haben könnten. Personen, die als Beteiligte am Putschversuch präsentiert wurden, waren häufig Militärkader, deren Karriere in der Armee auf Zeiten zurückreicht, in der religiöse Bürger keine Aussichten auf eine solche hatten. Kein anderes Land in Europa geht von der Existenz einer „FETÖ“ aus oder betrachtet die Gülen-Bewegung als Sicherheitsrisiko.

* Das Stockholm Center for Freedom (SCF) ist eine 2017 gegründete gemeinnützige Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Stockholm, Schweden. Es sieht seine Mission darin, Rechtstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte zu fördern — mit besonderem Fokus auf die Lage in der Türkei. Die Organisation wird der Gülen-Bewegung zugerechnet.

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