Wirtschaft
Türkei: Zeitplan für erstes Atomkraftwerk verzögert sich
Verzögerungen auf Grund von Umweltverträglichkeitsprüfungen und infolge ökonomischer Probleme in Russland dürften zu einem späteren Start von Akkuyu führen. Frühestens 2022 soll der für 2019 geplante Reaktor startklar sein.
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Der Zeitplan für Akkuyu scheint in Frage zu stehen. Die derzeitigen ökonomischen Probleme in der Russischen Föderation sowie bürokratische Hürden werden nach Einschätzung von Offiziellen aus dem Energiewesen dazu führen, dass das 20-Milliarden-Projekt des ersten türkischen Atomkraftwerkes mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht vor 2022 fertiggestellt werden dürfte.
In Anbetracht der hohen Importabhängigkeit im Energiebereich hatte die Türkei ein ehrgeiziges Nuklearprogramm ins Leben gerufen, wobei das staatliche russische Atomenergieunternehmen Rosatom im Jahr 2013 den Auftrag erhielt, vier Reaktoren mit einer Leistung von jeweils 1200 Megawatt (MW) zu bauen. Die Energieimporte kosten die Türkei jährlich etwa 50 Milliarden US-Dollar und der Bedarf ist weiter steigend. Deshalb möchte Ankara künftig mindestens fünf Prozent ihrer Energie aus Atomkraftwerken im eigenen Land gewinnen und so auch im Laufe des nächsten Jahrzehnts die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu vermindern.
Rosatom wollte die ersten vier Reaktoren in der südtürkischen Stadt Akkuyu ursprünglich bis 2019 fertigstellen. Am Montag ließ nun ein hochrangiger Beamter der türkischen Energiebehörde verlauten, dass unter der Prämisse der rechtzeitigen Grundsteinlegung das Projekt nicht vor 2022 am Netz sein werde. „Der erste Reaktor kann frühestens sieben Jahre nach der Grundsteinlegung ans Netz gehen, deshalb werden die Jahreszahlen 2019 oder 2020 für den Beginn unrealistisch sein“, hieß es seitens des Offiziellen.
Energieminister Taner Yıldız mahnte unterdessen einen strafferen Zeitplan an, da es sich um ein „Schlüsselprojekt für die Türkei“ handeln würde.
Fukushima hat auch in Akkuyu Geschäftigkeit ausgelöst
Unter anderem hat auch erhöhte Sorge um die Sicherheit des Kraftwerksprojekts infolge der Atomkatastrophe im japanischen Kraftwerk Fukushima zur Verzögerung mit beigetragen, die sich als Folge eines Seebebens vor der japanischen Küste und eines Tsunamis ereignet hatte, der mehr als zehntausend Todesopfer gefordert hatte. Das von Rosatom vor Ort geschaffene Projekt Akkuyu NGS musste erst mal ein gesamtes Jahr warten, bis die umweltrechtliche Genehmigung seitens der türkischen Behörden erteilt werden konnte. Erst im Dezember 2014, zeitgleich mit dem Besuch des Präsidenten der Russischen Föderation, Vladimir Putin, wurde die Genehmigung erteilt.
Analysten zufolge sollen auch die Wirtschaftskrise in Russland auf Grund der niedrigen Ölpreise sowie die Folgen der westlichen Sanktionen infolge der Ukrainekrise einen Effekt auf die Finanzen von Rosatom gehabt haben.
„Der Zeitplan für Akkuyu war von Beginn an unrealistisch und wird dies auch weiterhin bleiben“, äußerte Aaron Stein vom britischen Verteidigungs- und Sicherheits-Think-Tank Royal United Service Institute (RUSI). „Bedingt durch die ökonomischen Probleme auf Grund der verschlechterten russischen Wirtschaftslage ist die Angelegenheit noch komplizierter geworden.“
Noch keine Käufer für Anteile an Akkuyu NGS gefunden
Der Vizepräsident der Überseerepräsentanz von Rosatom, Milko Kovachev, kündigte an, das Projekt würde zeitgerecht fertiggestellt. Ein genaues Datum nannte er jedoch nicht.
„Das Programm ist klar, die Daten sind festgelegt“, äußerte Kovachev gegenüber Reuters am Rande eines Gipfels der Atomwirtschaft in Istanbul. „Ich denke, unser Vertrag wird vollständig so erfüllt werden, wie es geplant war“. Rosatom behält das Recht, bis zu 49 Prozent seiner Beteiligungen an der bis dato zu 100 Prozent in ihrem Eigentum befindlichen Akkuyu NGS zu verkaufen. RUSI-Analyst Stein meinte, dies habe Rosatom versucht, es habe aber bislang keine Interessenten gegeben.
„Investoren überlegen sich sehr genau, zu welchem Zeitpunkt sie in dieses Projekt einsteigen“, betonte Stein. „Es wäre sehr oberflächlich, heute zu sagen, es gäbe keine Investoren, aber es gibt einige Dinge zu klären.“