US-Kongress prangert Menschenrechtslage in der Türkei an: Kritik an Erdoğan-Regime wächst

In einer Anhörung im US-Repräsentantenhaus wurden schwere Vorwürfe gegen die türkische Regierung unter Präsident Erdoğan erhoben. Politiker beider Parteien sowie internationale Menschenrechtsexperten fordern Konsequenzen für systematische Repression, politische Verfolgung und Missbrauch von Interpol.
Am vergangenen Dienstag sind in der Tom-Lantos-Kommission für Menschenrechte des US-Repräsentantenhauses über Parteigrenzen hinweg kritische Worte über die derzeitige Situation der Freiheitsrechte in der Türkei gefallen. Die Kommission ist eine im Kongress eingerichtete, überparteiliche Einrichtung mit dem Zweck der weltweiten Förderung und Verteidigung der Menschenrechte. Neben Abgeordneten beider Parteien nahmen auch mehrere hochkarätige Gäste an der Zusammenkunft teil.
Der frühere NBA-Star und Menschenrechtsaktivist Enes Kanter Freedom war ebenso vertreten wie der Vorsitzende der Alliance for Shared Values, Dr. Alp Aslandoğan. Für das American Enterprise Institute meldetet sich dessen Experte Dr. Michael Rubin zu Wort.
USA empört über „grenzüberschreitende Repression“ der Türkei auf amerikanischem Boden
Der Republikaner Chris Smith (New Jersey) machte deutlich, dass es unter der Führung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan tausende politische Gefangene in der Türkei gibt. Die meisten davon gehörten der Gülen-Bewegung, der Kanter Freedom ebenfalls sehr nahesteht, oder der kurdischen Minderheit an. Der Abgeordnete gab auch seiner Unterstützung für das Vorhaben mehrerer Kollegen Ausdruck, Sanktionen gegen die Türkei zu verhängen.
Grund dafür ist die „grenzüberschreitende Repression“, die auch vor den USA nicht haltmache. Er verwies auf Übergriffe türkischer Sicherheitskräfte auf Demonstranten vor der türkischen Botschaft im Jahr 2017.
Als Angehöriger des Gülen-Netzwerks referierte anschließend Dr. Alp Aslandoğan über die Dimension der politischen Verfolgung in der Türkei. Er sprach von mehr als zwei Millionen Menschen, die seit dem gescheiterten Putschversuch einer Gruppe Armeesoldaten festgenommen worden seien. Sie wurden – regelmäßig ohne belastbare Beweise – mit Terrorvorwürfen überzogen. Grundlage dafür seien die Verwendung der Messenger-App ByLock, Überweisungen an legale Banken oder Spenden an Wohltätigkeitsorganisationen gewesen.
EGMR-Urteile ignoriert – Kritische Stimmen aus sozialen Netzwerken entfernt
In 705.172 Fällen seien formale Untersuchungsverfahren eingeleitet worden, es habe 125.456 Verurteilungen gegeben. Derzeit säßen 13.000 Menschen aus politischen Gründen in Haft. Zudem habe die Führung in Ankara 1.600 Schulen, 15 Universitäten und mehr als 500 NGOs schließen lassen und vorhandenes Vermögen eingezogen. Angesprochen wurde auch der Prozess gegen 41 junge Frauen, der am Freitag verhandelt werden soll. Ihnen wird im Wesentlichen die Teilnahme an religiösen Veranstaltungen und die Abhaltung von Nachhilfestunden vorgeworfen.
Aslandoğan machte auch darauf aufmerksam, dass die Türkei systematisch Urteile des Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ignoriere. Dieser hatte mehrfach festgestellt, dass die von der Türkei herangezogenen Verdachtsmomente für Terroranklagen nicht ausreichen könnten.
Während die Repression im digitalen Raum in immer mehr Ländern weltweit um sich greife, sei die Türkei auch in diesem Bereich besonders stark aufgefallen. So würden kritische Inhalte auf Plattformen wie jener des Meta-Konzerns oder auch Videos auf YouTube systematisch gelöscht: „Es geht längst nicht mehr um Zugangssperren. Es geht um das vollständige Auslöschen kritischer Inhalte auf globaler Ebene.“
Die Türkei sei von einem Aushängeschild in der islamischen Welt zu einem abschreckenden Beispiel geworden, so das Fazit des Vorsitzenden der Alliance for Shared Values.
Ex-NBA-Star schildert erschreckende Schicksale politischer Gefangener
Enes Kanter Freedom verwies darauf, dass es gegen ihn vonseiten der Türkei 12 Haftbefehle, eine Interpol-Fahndung, einen Entzug der türkischen Staatsbürgerschaft und ein Kopfgeld von 500.000 US-Dollar gebe. Auch seine Familie sei bedroht worden. Er sei jedoch kein Einzelschicksal, und im Unterschied zu ihm könnten sich viele der politischen Justiz in der Türkei nicht entziehen.
Kanter Freedom spricht von einer „lautlosen Hölle“ für hunderttausende Menschen. Er griff mehrere besonders befremdliche Beispiele für individuelle Schicksale heraus. So nennt er den 71-jährigen Alzheimer-Patienten Ibrahim Güngör, der trotz Pflegebedürftigkeit in Haft sei. Die 36-jährige Özlem Düzenli werde mit ihrem Baby in einer Zelle ohne Ausstattung festgehalten, weil sie umgerechnet 2,50 US-Dollar an eine bestimmte Bank überwiesen habe.
Die schwangere und herzkranke Hatice Doğru sei inhaftiert worden, nachdem sie an einer Trauerveranstaltung teilgenommen habe. Seit acht Jahren sei auch der schwer kranke Lehrer Kamil Açar inhaftiert, obwohl er eigentlich längst einen Anspruch auf Haftentlassung habe. Sie alle nenne er lediglich als Beispiele, betonte Kanter Freedom. Er könne noch zahlreiche andere von ähnlicher Tragweite nennen.
„Gülen-Anhänger gelten in der Türkei als Terroristen, die Hamas nicht“
Dr. Michael Rubin stellte wiederum den Nutzen der Türkei als strategischer Partner infrage. Friedliche Regierungskritiker von Hizmet (Eigenbzeichnung der Gülen-Bewegung) oder Persönlichkeiten wie Selahattin Demirtaş oder Osman Kavala seien in Haft. Mittlerweile versuche man auch Oppositionspolitiker wie Ekrem İmamoğlu zu kriminalisieren.
Gleichzeitig hofiere die türkische Regierung die terroristische Hamas, schweige zu Verbrechen der Terrormiliz IS und schütze pakistanische Terroristen vor der Auslieferung. Rubin fasste seinen Eindruck wie folgt zusammen: „Es ist moralisch empörend und inakzeptabel, dass Erdoğan und seine Diplomaten die Hamas verteidigen und gleichzeitig den Begriff ‚Terrorist‘ für jeden verwenden, der heute hier aussagt.“
Die geladenen Experten richteten an den Kongress die Forderung nach einer entschiedeneren Antwort auf das Agieren Ankaras. So könnte der Global Magnitsky Act Sanktionen gegen Beamte ermöglichen, die an Menschenrechtsverletzungen beteiligt seien. Der von Smith angesprochene Transnational Repression Policy Act wäre eine weitere Maßnahme.
Zudem solle eine Reform und stärkere Kontrolle von Interpol deren Missbrauch zur politischen Verfolgung gegensteuern. US-Abgeordnete sollten politische Gefangene öffentlich nennen. Zudem könne die Türkei in die „Watchlist forReligious Freedom Violations“ des US-Außenministeriums aufgenommen werden.