Extremismus Politik

Verfassungsschutzbericht 2024: Türkischer Einfluss und Extremismus in Deutschland im Fokus

  • Juni 12, 2025
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Verfassungsschutzbericht 2024: Türkischer Einfluss und Extremismus in Deutschland im Fokus

Im aktuellen Verfassungsschutzbericht warnt das Bundesinnenministerium eindringlich vor nachrichtendienstlichen Aktivitäten des türkischen Staates in Deutschland. Neben gezielter Ausspähung politischer Gegner steht auch die Einflussnahme auf türkischstämmige Einwanderer im Mittelpunkt – mit klaren Konsequenzen für Betroffene. Der Bericht beleuchtet zudem islamistische Strömungen mit Türkei-Bezug sowie die Rolle extrem nationalistischer Gruppierungen.

Am Dienstag haben Bundesinnenminister Alexander Dobrindt und der Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Sinan Selen (Foto, l.), den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2024 vorgestellt. Neben Themen wie Links- und Rechtsextremismus, Spionageabwehr oder terroristische Bedrohungen thematisiert der Bericht auch Bestrebungen mit Bezug zur Türkei oder türkischen Einwanderercommunity.

Türkische Referenzen finden sich in den Rubriken „Islamismus/Islamistischer Terrorismus“ sowie „Auslandsbezogener Extremismus“ und „Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten“.

„Transnationale Repression“ ruft Verfassungsschutz auf den Plan

Im Zusammenhang mit nachrichtendienstlichen Aktivitäten hat der deutsche Inlandsgeheimdienst auch den türkischen Staat selbst im Blick. Es ist den Verfassungsschützern nicht entgangen, dass die türkischen Dienste ein „breites Aufklärungsportfolio“ abdecken. Ein Arbeitsschwerpunkt in Deutschland sei dabei die „Oppositionellenausspähung“ beziehungsweise „transnationale Repression“.

Explizit erwähnt wird dabei die Ausspähung von Angehörigen der Gülen-Bewegung und regierungskritischen Einzelpersonen. Die türkische Regierung verfüge dazu über eine ausgeprägte Infrastruktur. Diese reiche von Auslandsvertretungen über türkische Organisationen vor Ort bis hin zu „angeworbenen menschlichen Quellen oder anderen Personen, die eigeninitiativ Hinweise geben“.

Die Strafverfolgungsbehörden seien in die Auswertung und Weiterleitung der Informationen eingebunden – und das habe für die Betroffenen Konsequenzen. Dies könne zu Festnahmen oder Inhaftierungen ebenso führen wie zu Aus- und Einreisesperren für Türkeireisende aus Deutschland. Dies alles dokumentiere das „hohe Strafverfolgungs- und Handlungsinteresse türkischer staatlicher Stellen“.

Erdoğans Kleinparteien interessieren die Wähler nicht – aber den Inlandsgeheimdienst

Nicht verborgen bleibt dem Bundesamt für Verfassungsschutz auch, dass die türkische Regierung proaktiv Einflussnahme auf türkische Einwanderer in Deutschland anstrebt. Dabei komme insbesondere der Union Internationaler Demokraten (UID) eine Schlüsselfunktion zu. Diese verfüge beispielsweise über ein „erhebliches Mobilisierungspotenzial, welches auch bei den türkischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Mai 2023 zum Tragen kam“.

Der Verfassungsschutz erwähnt auch die Versuche vonseiten eng an Ankara und die UID angebundener Personen, Parteien und Wählervereinigungen, um Stimmen aus der türkischen und muslimischen Community zu binden. Nach wie vor bestehen davon die BIG und die DAVA – sowie auf dem Papier auch noch die AD-D. Erfolge konnten sie bei Wahlen bislang nicht verbuchen.

Die türkischen Nachrichtendienste, so das Fazit des Verfassungsschutzes, setzen ihre Aktivitäten auf hohem Niveau fort. Dabei blieben „Oppositionelle und Dissidenten für sie weiterhin eines der vorrangigen Aufklärungsziele in Deutschland“. Ebenso ist zu erwarten, dass „die Einflussnahmeaktivitäten türkischer staats- oder regierungsnaher Organisationen fortgeführt werden“.

Verfassungsschutz bleibt argwöhnisch gegenüber der IGMG

Was einzelne Bestrebungen anbelangt, die einen Türkeibezug aufweisen, sind mehrere Gruppierungen aufgeführt, die ein radikales oder politisches Verständnis des Islam verfechten. Dazu gehört die „Furkan-Bewegung“ ebenso wie den mittlerweile de facto unbedeutenden „Kalifatsstaat“ der Kaplan-Gemeinde. Beide verfügen auch im deutschen Exil nur über wenige hundert Angehörige. Interessanter ist die Aufführung der „Türkischen Hizbullah“ (TH). Zwar ist auch diese in Deutschland mit 400 Mitgliedern unbedeutend. In der Türkei war die kurdische HÜDA-PAR, die als deren parlamentarischer Arm gilt, Teil des Erdoğan-Bündnisses bei den Wahlen 2023.

Nach wie vor beobachtet der Bundesverfassungsschutz die „Millî Görüş“-Bewegung (IGMG). Diese bleibe die größte sunnitisch-islamistische Strömung in Deutschland. Bezüglich der IGMG, die über 10.000 Mitglieder verfügt, heißt es, dass diese die einzige Organisation sei, die das Ziel verfolge, „eine Dialogpartnerschaft mit staatlichen und nicht staatlichen Akteuren einzugehen und gesellschaftliche Teilhabe zu erwirken“. Dennoch vermutet der Verfassungschutz dahinter den „Versuch, den öffentlich-politischen Diskurs im eigenen Sinne mitzubestimmen“.

Neben der IGMG sind noch die „İsmail Ağa Cemaati“ (IAC), „SAADET Europe e. V.“, die „Europavertretung der Erbakan-Stiftung“ und die „Millî Gazete“ erwähnt. Allen sei die ideologische Ausrichtung an den Ideen Necmettin Erbakans gemein. Die IGMG sehe sich zwar vorrangig als religiöse Organisation und Dienstleisterin für religiöse Belange, betone aber gleichermaßen, einen „politischen Anspruch“ zu haben.

Propaganda und Finanzierung: PKK, DHKP-C und Graue Wölfe

Im „auslandsbezogenen Extremismus“ gebe es auch Stagnation. Gruppierungen wie die PKK und DHKP-C blieben aber bedeutsam. Auffällig seien auch deren Anschlussversuche an den säkularen propalästinensischen Extremismus. Zwar sei die Zahl der Propagandadelikte der PKK angestiegen. Primär sehe man Deutschland aber eher als ruhiges Hinterland.

Primär gehe es sowohl der DHKP-C als auch der PKK um Spendensammlungen, Rekrutierung und Propaganda. Bei der DHKP-C spiele dabei auch die über ihren harten Anhängerkern hinaus wirksame Musikformation „Grup Yorum“ eine Rolle. Wenig bedeutend blieben orthodox marxistisch-leninistische Vereinigungen wie TKP/ML oder MLKP.

Die rechtsextremistische Idealistenbewegung (Ülkücü) finanziere sich unter anderem durch Mitgliedsbeiträge der Vereine und aus Immobilien. Allerdings nehme man dort, wo Moscheestrukturen bestünden, auch durch Korankurse und die Organisation von Hadsch-Wallfahrten Geld ein. Die größten Vereine in diesem Spektrum sind die „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V.“ (ADÜTDF), die „ATİB – Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V.“ (ATİB) und die der BBP zuzurechnenden „Föderation der Weltordnung in Europa“ (ANF).

Neben dem Antisemitismus, den alle beobachteten Vereine pflegten, sorgten im Vorjahr auch einige öffentliche Debatten für Mobilisierung. So sollen die Anhänger der „Grauen Wölfe“ die „Wolfsgruß“-Debatte zur Fußball-EM rund um Merih Demiral zum Anlass genommen haben, in sozialen Medien vermehrt das Wort zu ergreifen. Alle Idealistengruppierungen verharren bei zusammen etwas mehr als 10.000 Mitgliedern.

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