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Wie Ankara mit Millionen Dollar US-Muslime und Politik umwirbt

  • November 20, 2025
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Wie Ankara mit Millionen Dollar US-Muslime und Politik umwirbt

Die TURKEN Foundation, gegründet von Ensar Vakfı und TÜRGEV, hat im ersten Halbjahr 2025 mehr als 48 Millionen Dollar in Lobbyarbeit in den USA investiert. Die Ausgaben der regierungsnahen Stiftungen steigen seit Jahren rasant an und sorgen für Diskussionen über Einflussstrategien, Transparenz und die politische Ausrichtung des Netzwerks.

Die türkische Regierung hat ihre Ausgaben für Lobbyismus in den USA massiv ausgeweitet. Dies geht aus einer Analyse hervor, die kürzlich in der „Deutschen Welle“ veröffentlicht wurde. So haben die Ensar-Stiftung und der TÜRGEV-Verband allein im ersten Halbjahr 2025 nicht weniger als 48,2 Millionen US-Dollar an die TURKEN Foundation gespendet. Davon kamen 25,3 Millionen von Ensar und 22,9 Millionen von TÜRGEV – diese beiden Vereinigungen waren auch die Gründer des für die USA bestimmten Lobbyverbandes.

Die Rolle der TURKEN Foundation

Vergleichsweise bescheiden waren die Ausgaben der AKP (474.900 US-Dollar) und der Türkischen Botschaft in den USA (191.700). Im Jahr 2023 waren allerdings insgesamt nur 10,7 Millionen US-Dollar in die türkische Lobbyarbeit geflossen. Insgesamt wurden seit 2023 durch vorgeblich nichtstaatliche Akteure 77,5 Millionen US-Dollar in diesen Bereich investiert.

Offiziell ist die TURKEN Foundation ein steuerbefreites Bildungswerk. Sie wurde 2014 gegründet. Eigenen Angaben zufolge sind ihre Hauptaufgabengebiete die Unterstützung muslimischer Studierender in den USA durch Wohnraum, Stipendien und kulturelle Programme.

Erst im Mai 2025 hat die TURKEN Foundation in New York ein neu gebautes Studentenwohnheim eröffnet. In diesem Bereich waren bislang vor allem zivilgesellschaftliche muslimische Netzwerke wie die Gülen-Bewegung (Eigenbezeichnung „Hizmet“) oder regierungsunabhängige Gemeinden engagiert. Analysten wie Halil İbrahim Yenigün von der Stanford University bezeichnet TURKEN als eine Art US-Ableger von TÜRGEV.

Muslimische Communitys als Zielpublikum der Lobbyarbeit?

Yenigün geht davon aus, dass die Türkei ihre Lobbyarbeit verstärke, weil sie wachsende muslimische Communities in den USA als strategische Ressource sehe. Die zunehmende Bedeutung der Muslime in den USA zeigte sich erst jüngst in der Wahl Zohran Mamdanis als des ersten muslimischen Bürgermeisters in New York City.

Aber auch in Städten wie Dearborn, Michigan oder Minneapolis ist die muslimische Community ein bedeutender Faktor. Viele dort lebende Muslime haben ihre Wurzeln in Ländern wie Somalia oder Pakistan. Projekte wie TURKEN sollen unter jungen US-Muslimen nun eine türkei-freundliche Elite formen. Die Organisationsform entspricht dabei nicht den klassischen US-Modellen für Community-Building.

Wie der frühere türkische Botschafter in den USA und heutige CHP-Politiker Namık Tan erklärt, ist Lobbyarbeit legitim – auch von Staaten. Das erscheint nachvollziehbar: Immerhin sind auch Lobbyorganisationen anderer Länder der Region – von Armenien über Griechenland bis hin zu Israel – ebenfalls mit erheblicher Manpower in den USA vertreten. In vielen Fällen verfügen diese auch über gute Beziehungen in die Politik.

Früherer Botschafter: TURKEN bemüht sich nicht um Transparenz

Allerdings betont Tan auch, dass diese vollständig transparent vonstattengehen müsse. In seiner Amtszeit sei Transparenz Pflicht gewesen. TURKEN beantwortet hingegen keine Fragen zu den erheblichen Ausgabensteigerungen. Und in der Türkei fehlt eine Verpflichtung zur öffentlichen Offenlegung von Stiftungsgeldern.

In den USA gibt es seit 1938 jedoch das FARA-Gesetz. Dieses verpflichtet alle Akteure, die für ausländische Auftraggeber Lobbyarbeit betreiben, zur Registrierung und Offenlegung ihrer Aktivitäten. Darunter fallen auch schon Projekte in Bereichen wie PR oder Tourismus.

In den Jahren 2016 und 2022 tauchte TURKEN im Zusammenhang mit Wahlkampfspenden an US-Politiker auf. So unterstützte man unter anderem die Ex-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton und New Yorks Bürgermeister Eric Adams. Die Spenden hatte der damalige Finanzverantwortliche Memiş Yetim gemeldet.

Türkische Regierung will mit Lobbyismus negativem Image entgegenwirken

Vieles deutet darauf hin, dass die türkische Regierung mit verstärktem Lobbyismus dem schlechten Image gegensteuern will, das sie sich in den vergangenen Jahren in den USA erarbeitet hat. Im Kongress kam der autoritäre Kurs Ankaras überhaupt nicht gut an. Deshalb verhinderten die Abgeordneten dort unter anderem schon mehrfach die Lieferung von Militärgerät.

Dazu kommt, dass die AKP auch innerhalb der türkischen Diaspora und unter US-Muslimen insgesamt einen deutlich geringeren Rückhalt hat als beispielsweise in Deutschland oder Österreich. Unter den Auslandstürken in den USA erhielt Recep Tayyip Erdoğan bei den Präsidentschaftswahlen in den USA nur 16 Prozent. Hingegen gaben vier von fünf Türken in den USA ihre Stimme Kemal Kılıçdaroğlu.

Auch unter türkischen Akademikern ist der Rückhalt für Erdoğan in den USA gering. Viele Anhänger der Gülen-Bewegung sind vor der Verfolgung durch die türkische Regierung in die USA geflohen. Außerdem betreiben Hizmet-Freiwillige dort seit Jahr und Tag erfolgreich Charter-Schulen. In den USA ist außerdem die Identifikation der Muslime mit dem Gemeinwesen größer. Die spalterische Herangehensweise der AKP fällt deshalb dort – anders als in vielen EU-Staaten – nicht auf fruchtbaren Boden. Im Vergleich zu anderen türkischen Initiativen konnte sich auch der Think-Tank SETA in den USA nicht dauerhaft etablieren. Yenigün meint, die Einflusschancen solcher Think Tanks seien heute generell geringer als früher.

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