Geschichte Türkische Küche

Wie und wann der Tee zur Identität der Türkei wurde

  • Mai 29, 2025
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Wie und wann der Tee zur Identität der Türkei wurde

Kulturprodukt, Wirtschaftsfaktor, Alltagsgetränk – Çay prägt das Leben in der Türkei wie kaum ein anderes Getränk. Doch die Geschichte des Tees ist überraschend jung und reicht längst nicht so weit zurück, wie man vielleicht annehmen könnte.

Am 21. Mai wird weltweit der „Welt-Tee-Tag“ begangen – das beschlossen die Vereinten Nationen im Jahr 2019. Laut dem aktuellen Teeproduktbericht des türkischen Landwirtschaftsministeriums liegt der Pro-Kopf-Verbrauch von Schwarztee in der Türkei zwischen 3,5 und 4 Kilogramm. Damit zählt das Land zu den weltweit führenden Teekonsumenten. Doch die Geschichte des Tees in der Türkei bzw. in Anatolien reicht keineswegs so weit zurück, wie man vielleicht vermuten würde.

Die Historikerin Esra Ansel Derinbay beschreibt im Gespräch mit „BBC Türkçe“, dass Tee im Osmanischen Reich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in elitären Kreisen bekannt wurde. Das Volk bevorzugte Kaffee, während Tee als Luxusartikel der westlich geprägten Oberschicht galt. Erst mit dem Verlust von Jemen – einem wichtigen Kaffee-Lieferanten – und ab 1923 dem Bestreben der jungen Republik, wirtschaftlich unabhängiger zu werden, rückte der Tee in den Fokus der türkischen Staatsplanung.

Ein Wendepunkt war das Jahr 1924: Mit einem neuen Gesetz wurde der Anbau von Tee im Nordosten des Landes offiziell gefördert. Zentrale Figur dieser Entwicklung war der Agraringenieur Ali Rıza Erten, der während der russischen Besatzung Wetterberichte aus Batumi analysierte und erkannte, dass das Klima in Rize für den Teeanbau geeignet sein könnte. Seine Initiative markierte den Anfang des staatlich gelenkten Teeanbaus in der Schwarzmeerregion.

Zihni Derin: Vater des türkischen Tees

Einer, der diese Vision in die Praxis umsetzte, war Zihni Derin. Er gilt als „Vater des türkischen Tees“. Aus dem georgischen Batumi brachte er Teesetzlinge nach Rize, gründete Versuchsgärten, ließ Bodenanalysen durchführen und bereitete den Weg für die erste Teefabrik. Auf der Website des staatlichen Teeunternehmens Çaykur wird er als der erste genannt, der das Thema Tee wissenschaftlich und systematisch anging.

Historikerin Fatma Genç betont im Gespräch mit BBC Türkçe die Rolle der Frauen in der frühen Phase des Teeanbaus. In einer von Armut und Arbeitsmigration geprägten Region waren es insbesondere sie, die die ersten Teeplantagen anlegten und das Wissen über Anbau und Verarbeitung weitergaben. Dennoch werde ihr Beitrag bis heute kaum beachtet. Die Erträge und Zahlungen gingen in den ersten Jahrzehnten meist auf die Konten männlicher Familienangehöriger.

Fachleute fordern Rückbesinnung auf das „zwei-ein-halb-Blatt“

Staatliche Kampagnen und ein zeitweiliges Importverbot für Kaffee sorgten in den 1950er Jahren dafür, dass sich der Tee endgültig durchsetzte – nicht nur als Getränk, sondern als Symbol der republikanischen Identität. Es ging, wie Esra Ansel Derinbay sagt, nicht nur um ein landwirtschaftliches Produkt, sondern auch um den Aufbau einer kulturellen und wirtschaftlichen Eigenständigkeit.

Doch trotz dieser erfolgreichen Entwicklung ist die Qualität des in der Türkei konsumierten Tees heute umstritten. Laut Recep Koyuncu und Fatma Genç liegt dies an der falschen Erntemethode. Während in Ländern wie Indien und Sri Lanka von Hand gepflückt wird, kommt in der Türkei häufig die Schere zum Einsatz. Dabei werden auch verholzte, minderwertige Teile der Pflanze verarbeitet. Die beiden Fachleute fordern eine Rückbesinnung auf die feinen, zarten Spitzen – das sogenannte „zwei-ein-halb-Blatt“, das in der internationalen Teekultur als besonders hochwertig gilt.

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