Zwischen Lichtern und Alltag: Muslime und Weihnachten
Wenn in Deutschland die Tage kürzer werden, Lichterketten Balkone erhellen und sich der Geruch von Glühwein durch die Städte zieht, verändert sich das Tempo des Alltags. Weihnachten ist mehr als ein religiöses Fest – es ist eine gesellschaftliche Zäsur. Und sie betrifft auch jene, die Weihnachten nicht feiern: Muslime.
Ein Gastbeitrag von Kadir Boyacı*
Religiös gesehen spielt Weihnachten im Islam keine Rolle. Die Geburt Jesu wird zwar anerkannt – Jesus gilt im Islam als wichtiger Prophet –, wird jedoch theologisch anders verstanden als im Christentum. Weihnachten ist deshalb kein religiöser Feiertag für Muslime. Und dennoch ist es für viele muslimische Familien in Deutschland ein fester Bestandteil des Jahreslaufs.
Lichter, Märkte, kleine Rituale
Für viele beginnt Weihnachten schlicht mit Ruhe. Schulen sind geschlossen, Büros leerer, der öffentliche Raum entschleunigt. Diese Zeit nutzen viele muslimische Familien, um zusammenzukommen. Man besucht Eltern und Großeltern, kocht gemeinsam, bleibt länger am Tisch sitzen. In einer Gesellschaft, die sonst von Terminen und Verpflichtungen geprägt ist, wird Weihnachten zu einer willkommenen Pause – unabhängig vom Glauben.
Auch kulturelle Bräuche finden ihren Weg in muslimische Haushalte. Lichterketten an Fenstern, geschmückte Räume, manchmal sogar ein Weihnachtsbaum. Nicht als religiöses Symbol, sondern als Ausdruck von Atmosphäre. Gerade für Kinder ist diese Zeit geprägt von Vorfreude, von Glanz und Gemeinschaft. Manche Familien tauschen kleine Geschenke aus – nicht aus christlicher Tradition, sondern aus dem Wunsch heraus, den Kindern ein Gefühl von Zugehörigkeit zu geben.
Weihnachtsmärkte gehören für viele ebenfalls dazu. Sie sind Treffpunkte, soziale Orte, Teil der urbanen Kultur. Man trinkt Tee oder Punsch, isst Gebäck, schlendert durch beleuchtete Gassen. Für viele – natürlich nicht für alle – Muslime ist das kein Akt der Anpassung, sondern ein selbstverständlicher Teil des Lebens in einer pluralen Gesellschaft.
Gleichzeitig gibt es innerhalb muslimischer Gemeinschaften unterschiedliche Sichtweisen. Manche Gläubige lehnen jede Form der Beteiligung ab, weil sie eine Vermischung religiöser Grenzen befürchten. Andere unterscheiden klar zwischen Glauben und Kultur – und sehen keinen Widerspruch darin, an gesellschaftlichen Traditionen teilzunehmen, ohne deren religiösen Kern zu übernehmen. Diese Vielfalt ist Ausdruck innerislamischer Debatten, wie sie in jeder Religionsgemeinschaft existieren.
Weihnachten ist für viele Muslime eine geteilte Zeit – kein geteilter Glaube
Wichtig ist: Weihnachten ersetzt für Muslime nicht die eigenen religiösen Feste. Das Fastenbrechen am Ende des Ramadan oder das Opferfest bleiben die zentralen spirituellen Höhepunkte des Jahres. Weihnachten ist etwas anderes – eine geteilte Zeit, kein geteilter Glaube.
In einer Gesellschaft, die zunehmend über Zugehörigkeit streitet, zeigt sich hier eine leise Realität: Viele Muslime erleben Weihnachten nicht als Abgrenzung, sondern als Mitgehen. Nicht aus Anpassungsdruck, sondern aus Alltag. Sie füllen diese Tage mit eigenen Werten – Familie, Gastfreundschaft, Gemeinschaft.
Vielleicht liegt darin eine unterschätzte Qualität dieser Zeit. Weihnachten zwingt niemanden zum Glauben. Aber es öffnet einen Raum, in dem Menschen – unabhängig von Herkunft oder Religion – innehalten. Und genau darin finden viele Muslime in Deutschland ihren eigenen Platz: zwischen Lichtern, Gesprächen und dem Wunsch nach einem friedlichen Miteinander.
*Kadir Boyacı ist Soziologe, islamischer Theologe und Geschäftsführer des Forums für Interkulturellen Dialog e.V., das der Hizmet-Bewegung nahesteht.



