Gesellschaft Politik

Zwischenruf zur Berliner Debatte: Warum dürfen Muslime nicht einfach auch Schutz verdienen?

  • Juli 4, 2025
  • 3 min read
  • 5 Views
Zwischenruf zur Berliner Debatte: Warum dürfen Muslime nicht einfach auch Schutz verdienen?

Die Kritik an der Berliner Sozialsenatorin Cansel Kızıltepe zeigt einmal mehr, wie schwer sich deutsche Politik und Medienöffentlichkeit mit dem Thema antimuslimischer Rassismus tun. Anstatt die Ankündigung einer Ansprechperson für dieses Thema am internationalen Tag gegen antimuslimischen Rassismus zum Anlass zu nehmen, endlich strukturell etwas gegen die dokumentierte Benachteiligung und Feindlichkeit gegenüber Musliminnen und Muslimen zu tun, konzentriert sich die Diskussion auf politische Formalien, Parteitaktik und interne Abstimmungsprozesse.

Der Tonfall des WELT-Artikels, der den Vorstoß als „einsame Entscheidung“ und „Affront“ gegenüber der Koalition darstellt, lenkt von der eigentlichen Frage ab: Ist die Benennung einer Ansprechperson zur Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit in Berlin notwendig? Die Antwort kann – angesichts der Realität von Hanau, Halle, Solingen, Mölln oder der Ermordung von Marwa El-Sherbini – nur ein klares Ja sein. Und diese Notwendigkeit verdient mehr als politisches Klein-Klein.

Schon der Ton des Artikels von Thomas Schmoll lässt aufhorchen: Wenn davon die Rede ist, der Regierende Bürgermeister habe die Senatorin „zurückgepfiffen“, klingt das weniger nach sachlicher Analyse als nach inszenierter Bloßstellung. Eine Formulierung, die eine klare Visualisierung im Kopf der Leser:innen erzeugt – und vielleicht auch erzeugen soll.

Woher kommt diese intrinsische Motivation, Muslime gegen Juden auszuspielen?

Was besonders irritiert: die fast reflexhafte Relativierung. CDU-Vertreter argumentieren, Judenhass sei ein „drängenderes“ Problem. Doch warum dieses Bedürfnis, Minderheiten gegeneinander aufzuwiegen? Warum dieses politische Bedürfnis, zu vergleichen, wer mehr gelitten hat? Es ist eine gefährliche Dynamik, wenn Betroffene von Rassismus gegeneinander in Stellung gebracht werden.

Muslime in Deutschland erleben Diskriminierung im Bildungssystem, auf dem Wohnungsmarkt, im Arbeitsleben, in Behörden – und nicht selten auf der Straße. Dies anzuerkennen, bedeutet nicht, den Antisemitismus kleinzureden. Es bedeutet lediglich, das zu tun, was in einer vielfältigen Demokratie selbstverständlich sein sollte: Mehrere Formen von Diskriminierung gleichzeitig ernst zu nehmen.

Großer politischer Einsatz, um ein wichtiges Vorhaben „zurückzupfeiffen“

Der Vorwurf, der Posten sei im Alleingang und „hinter dem Rücken“ des Senats eingeführt worden, mag formal korrekt sein. Doch wer die Diskussion rein auf Verfahren verengt, ignoriert bewusst den eigentlichen Kern: Die politische und gesellschaftliche Relevanz des Vorhabens. Wenn Betroffene von antimuslimischem Rassismus endlich eine Ansprechperson erhalten sollen – eine, die über wissenschaftliche Qualifikation und Erfahrung verfügt –, dann verdient das Unterstützung, nicht Misstrauen.

Und ja, Demokratien leben vom Diskurs. Aber es ist einer Demokratie unwürdig, wenn Politikerinnen, die sich für Minderheiten einsetzen, sofort „zurückgepfiffen“, isoliert und öffentlich vorgeführt werden.

Muslime fühlen sich wieder und wieder vor den Kopf gestoßen

Der Berliner Senat, die CDU und auch Teile der SPD hätten die Chance nutzen können, ein Zeichen zu setzen. Stattdessen wurde eine wichtige Initiative öffentlich diskreditiert. Ein weiteres Signal an die muslimische Community, dass ihr Anliegen in der Prioritätenliste oft ganz unten steht.

Gleichzeitigkeit ist keine Schwäche, sondern ein Zeichen von Reife. Wer Rassismus bekämpfen will, sollte das überall tun – nicht nur dort, wo es politisch bequem ist.

About Author

dtj-online