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Kolumnen

Illusionskünstler Schäuble dementiert radikale Sparpläne – noch

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Nicht nur in Niedersachsen wird gewählt, auch die Bundestagswahl steht an. Schlechte Nachrichten müssen im Wahljahr vermieden werden, vor allem, wenn es um den Geldbeutel der Bürger geht. Die erwartet wohl ein umfangreiches Sparprogramm. (Foto: rtr)

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Illusionskünstler Schäuble dementiert radikale Sparpläne - noch
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Kaum ist die Nachricht draußen, lässt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sie sofort dementieren. Weder er noch die Beamten seines Ministeriums hätten radikale Sparpläne für die Zeit nach der Bundestagwahl im kommenden September aufgeschrieben. Was der „Spiegel“ da berichte, sei dummes Zeug. „Ich wundere mich schon, wer es alles selbst über Weihnachten trotzdem nicht lassen konnte, sich dazu zu äußern“, sagt der CDU-Politiker. Er wolle noch vor der Wahl 2013 den Entwurf für einen strukturell ausgeglichenen Haushalt vorlegen.

Außerdem gebe es überhaupt keinen Anlass für drastische Sparprogramme, schließlich werde die Wirtschaft 2013 wieder „ordentlich wachsen“, weil unter anderem die Geschäfte mit USA und Asien „stärker anziehen“. Sogar die Euro-Krise sei so gut wie überwunden, verspricht Schäuble: „Ich glaube, wir haben das Schlimmste hinter uns.“ Griechenland sei auf einem guten Weg, Frankreich auch. Wozu also sparen?

Schäuble sagt aber auch, die Gewerkschaften sollten sich im kommenden Jahr mit ihren Lohnforderungen zurückhalten: „Man sollte in wirtschaftlich unruhigen Zeiten Maß halten und nicht übertreiben.“

Schlechte Nachrichten darf es im Wahljahr nicht geben
Ja, was denn nun? Geht es bergauf oder bergab? Wolfgang Schäuble spricht in Rätseln. Und das vermutlich in fester Absicht. Denn es ist Wahlkampf. Zu Beginn des neuen Jahres wählen die Niedersachsen einen neuen Landtag, im Herbst steht die Bundestagswahl an. Die wollen Angela Merkel und er gewinnen. Schlechte Nachrichten helfen dabei nicht, sie bewirken das Gegenteil. Und deshalb darf es sie nicht geben.
Was in den kommenden Jahren tatsächlich auf Deutschland zukommt, soll also geheim bleiben, so lange es geht. Das galt auch für Schäubles Sparpläne – bis ein Ministerialbeamter sie ausgeplaudert hat. Schäuble selbst soll das Programm seiner Mitarbeiter ausdrücklich gebilligt und sogar angeordnet haben, das Projekt weiter auszuarbeiten. Jetzt leugnet er es.

Dabei ist den meisten Menschen klar, dass eine Regierung, die Zahlungsverpflichtungen in Billionenhöhe eingegangen ist, also ein Gutteil des gesamten deutschen Volksvermögens verpfändet hat, nicht so weitermachen kann wie bisher. Denn irgendwann fordern die Gläubiger ihr Geld, und dann wird der Steuerzahler zur Kasse gebeten.

Genau diese Befürchtungen stehen hinter den Sparplänen des Finanzministeriums. Es geht nämlich davon aus, dass der Staat sowohl auf den hohen Kosten für die Rettung deutscher Banken in der Weltfinanzkrise 2008 sitzen bleibt als auch auf mindestens einem Teil der Kosten der Euro-Krise. Mit rund 180 Milliarden Euro hatte der Staat die Hypo Real Estate, die WestLB und die Commerzbank vor der Pleite bewahrt.

Abwicklungsbanken sind tickende Zeitbomben
Noch heute lagern ungeheure Kreditrisiken in sogenannten „Abwicklungsbanken“. Sie sind tickende Zeitbomben. Dasselbe gilt für den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Dort haftet der deutsche Steuerzahler bereits mit mindestens 190 Milliarden Euro. Und wenn der ESM sein Geld einfordert, kann der Steuerzahler sich nicht verweigern.

Folglich ist die finanzielle Zukunft des deutschen Staates alles andere als rosig. Gebraucht wird ein Rettungsschirm für 80 Millionen Bürger. Aber keiner ist in der Lage, ihn aufzuspannen.

Darum suchen Finanzpolitiker schon seit gut zwei Jahren nach neuen Einnahmequellen. Bereits im Winter 2011 schlug die SPD-Abgeordnete Kirsten Lühmann die Wiedereinführung des Lastenausgleichsgesetzes vor. Das Gesetz verpflichtete unter anderem Immobilienbesitzer zu einer Abgabenzahlung. Als Wolfgang Schäuble auf dem jüngsten European Banking Congress in Frankfurt aus dem Publikum gefragt wurde, ob die Deutschen wieder mit so einer Immobilienabgabe rechnen müssten, zuckte er mit den Schultern und sagte: „Wissen Sie, in der Demokratie sind die Vorhersagen immer schwierig.“ Ausgeschlossen hat er einen erneuten Lastenausgleich demonstrativ nicht.

Das „Schlimmste“ ist überstanden, nicht aber für den Steuerzahler
In den Plänen seiner Ministerialbeamten kommt er offenbar nicht vor. Sie favorisieren drei Maßnahmen. So soll der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von heute sieben Prozent auf den Regelsatz von 19 Prozent erhöht werden. Gut 23 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen verspricht sich das Ministerium davon. Gleichzeitig wollen die Beamten den Zuschuss zum Gesundheitsfonds um zehn Milliarden Euro kürzen. Das Geld soll der Steuerzahler künftig mit einem „Gesundheits-Soli“ aufbringen. Drittens ist ein Anstieg des Renteneinstiegsaltes geplant. Das heißt, die Leute sollen auch über das 67. Lebensjahr hinaus arbeiten, die Witwenrente wird weiter gekürzt, die Altersarmut noch weiter verschärft.

Obwohl hier eines der umfangreichsten Sparprogramme in der Geschichte der Bundesrepublik entworfen wird, dürften die Pläne jedoch noch nicht ausreichen, die umfangreichen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen, die Deutschland eingegangen ist. Abgaben auf Vermögen aller Art oder weitere Leistungskürzungen im Sozialbereich sind daher wahrscheinlich. Nicht einmal ein historischer Wirtschaftsboom könnte die Deutschen vor massiven Einschnitten bewahren.

Trotzdem sagt Wolfgang Schäuble, das „Schlimmste“ sei überstanden. Das mag vielleicht für die geretteten Banken gelten und die Großinvestoren in London und an der Wall Street. Es gilt definitiv nicht für den Steuerzahler.

Doch statt diese Wahrheit offen auszusprechen, mutiert die deutsche Politik zu einem magischen Theater, das den Menschen Trugbilder verkauft. Der Minister als Illusionskünstler aber wird über die Wirklichkeit nicht dauerhaft hinwegtäuschen können. Und weil er das weiß, müssen seine Beamten bereits für den Ernstfall planen, den sie möglichst bis nach der Bundestagswahl hinauszuzögern trachten.