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Gesellschaft

Femizide in der Türkei: Alarmierende Zahlen und Kritik an Justiz

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Symbolfoto: Rote Schuhe dienen mittlerweile in vielen Ländern bei Protestaktionen als Symbol für Gewalt gegen Frauen. Foto: Marius Burgelman/Belga/dpa
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Die Zahl der Femizide in der Türkei hat im Februar einen besorgniserregenden Wert erreicht. Laut der Plattform „Wir werden Frauenmorde stoppen“ wurden 21 Frauen von ihren Partnern oder Verwandten getötet, 16 weitere starben unter verdächtigen Umständen. Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Straflosigkeit und das politische Klima, das Gewalt gegen Frauen begünstige.

Die Zahl der Femizide in der Türkei hat im Februar einen neun beunruhigenden Wert erreicht. Dies teilt die Plattform „Wir werden Frauenmorde stoppen“ (KCDP) mit. Demnach haben sich im kürzesten Monat des Jahres im gesamten Land nicht weniger als 21 Morde an Frauen durch Ehemänner, Ex-Partner oder nahe Verwandte ereignet. Dazu kommen 16 Todesfälle unter verdächtigen Umständen.

Am vergangenen Montag veröffentlichte die Initiative ihren jüngsten Bericht. In allen Fällen, die KCDP zusammengetragen hat, gab es Tatverdächtige aus deren eigener Familie oder dem engen Bekanntenkreis. Elf Opfer kamen in ihren eigenen vier Wänden ums Leben. In 19 Prozent der Fälle habe es einen Zusammenhang mit „Entscheidungen über die eigene Lebensführung“ gegeben.

Verdächtige Todesfälle: Viele Morde als „Unfälle“ deklariert

Femizide sind vor allem in den vergangenen Jahren zu einem drängenden Problem in der Türkei geworden, heißt es vonseiten der Plattform. In der Zeit zwischen 2010, dem Gründungsjahr der Initiative, und Oktober 2024 habe es insgesamt 4.255 Femizide gegeben. Allein zwischen 2017 und 2023 gab es einen Anstieg um 82 Prozent.

Inwieweit der deutliche Anstieg der erfassten Fälle auf eine erhöhte öffentliche Sensibilität bezüglich des Themas zurückzuführen ist, bleibt offen. Nach wie vor werden zahlreiche verdächtige Todesfälle von Frauen im eigenen häuslichen Umfeld als ‚Unfälle‘ deklariert. In manchen Fällen verschwinden Betroffene spurlos, aber Verwandte verhalten sich bei der Suche auffallend passiv. Diese Praxis dürfte auch schon verbreitet gewesen sein, bevor das Thema zum Gegenstand öffentlicher Debatten wurde.

Organisation sieht „Kultur der Straflosigkeit“ bei Gewalt gegen Frauen

KCDP kritisiert, dass in der Türkei nach wie vor eine Kultur des Verständnisses oder gar der Straflosigkeit herrsche, wenn es um die Tötung und um körperliche oder sexuelle Gewalt an Frauen gehe. In 70 Prozent der Femizid-Fälle hätten sich betroffene Frauen zuvor an Polizei oder Justiz gewandt. Es gebe zwar seit 2012 das Gesetz Nr. 6284. Dieses regelt den Schutz der Familie und die Verhinderung von Gewalt gegen Frauen.

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Das Gesetz sieht die Möglichkeit vor, bei Gefahr im Verzug gegen Angehörige, die Leib und Leben bedrohen, Zwangshaft anzuwenden. Allerdings gebe es Tendenzen, dem Gesetz den Zahn zu ziehen – etwa durch erweiterte Berufungsmöglichkeiten gegen solche Anordnungen. Außerdem seien Strafen im Kontext häuslicher Gewalt nach wie vor gering.

KCDP kritisiert, dass die Türkei aus der 2011 beschlossenen „Istanbul-Konvention“ ausgetreten ist. Diese Vereinbarung auf Europaratsebene hat zwar keine direkte Rechtswirksamkeit. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich jedoch zur Schaffung eines wirksamen rechtlichen Rahmens zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen.

Weltweit höchste Zahl bei Femiziden in afrikanischen und mittelamerikanischen Ländern

Die Türkei ist 2021 aus der Konvention ausgetreten. Als Begründung nannte Präsident Recep Tayyip Erdoğan, dass diese von ideologischen Kräften vereinnahmt worden sei. Diese wollten Mitgliedstaaten dazu drängen, Homosexualität zu normalisieren und Familienwerte zu unterminieren. Dies sei mit türkischen Gesellschaftsvorstellungen nicht zu vereinbaren. KCDP beklagt, dass ihre Arbeit seit dieser Entscheidung immer stärker unter Druck stehe.

Dem „World Population Review“ der Weltbank zufolge lag die Zahl der Femizide in der Türkei bei 1,0 pro 100.000 Frauen. Die Zahl stammt aus dem Jahr 2021. Das wäre das gleiche Level wie Kanada, Finnland oder Libanon. Die höchsten Raten weisen demnach die Zentralafrikanische Republik (10,6 im Jahr 2016) und Jamaika (9,3) auf. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Dunkelziffer in vielen Ländern höher ist.