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Wettskandal in der Türkei zieht immer größere Kreise

  • Dezember 9, 2025
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Wettskandal in der Türkei zieht immer größere Kreise

Seit Monaten kommt der türkische Fußball nicht zur Ruhe. Dabei spielt sich der Trubel nicht mehr auf dem Rasen ab, sondern findet viel mehr neben dem Spielfeld statt. Schiedsrichter, Fußballer, Vereinsfunktionäre, Fußballkommentatoren – sie alle sollen in illegale Machenschaften verwickelt sein. Und nun kommt es zu weiteren Festnahmen. Die Namen sind zum Teil überraschend, aber allesamt schockierend.

Die türkische Fußballwelt wird von einem massiven Wettskandal erschüttert. Im Rahmen einer großangelegten Ermittlung der Staatsanwaltschaft Istanbul wurden 35 von insgesamt 46 Verdächtigen festgenommen. Die neue Welle der Operation richtet sich gegen ein weit verzweigtes Netzwerk, das sich über sämtliche Ebenen des türkischen Fußballs erstreckt – von der Süper Lig bis in den Amateurbereich, von Schiedsrichtern über Profispieler bis hin zu Funktionären und bekannten Medienpersönlichkeiten.

Ahmet Çakar: Vom FIFA-Schiedsrichter zur Schlüsselfigur im Verdachtsnetz

Unter den Festgenommenen befindet sich auch Ahmet Çakar, einer der prominentesten Fußballkommentatoren des Landes und früher selbst FIFA-Schiedsrichter. Çakar, von Hause aus Arzt, leitete zwischen 1981 und 1998 mehr als hundert internationale Begegnungen, darunter Champions-League-Spiele, Länderspiele und Istanbul-Derbys. Nach seiner aktiven Laufbahn wurde er zu einer der lautesten, teils polarisierenden Stimmen im türkischen Sportjournalismus. Seine Festnahme, die wegen gesundheitlicher Gründe nicht vollstreckt wurde, wirft nun Fragen über seine mögliche Rolle in den mutmaßlichen Wettstrukturen auf; konkrete Details wurden von den Ermittlern bislang nicht offengelegt.

Fenerbahçe-Kapitän Mert Hakan Yandaş festgenommen

Ebenfalls festgenommen wurde Mert Hakan Yandaş, Mittelfeldspieler und Kapitän von Fenerbahçe. Yandaş, der selten bis gar nicht zum Einsatz kommt, stand erst kürzlich im Fokus der Öffentlichkeit, nachdem er im Anschluss an das Derby gegen Galatasaray wegen Beleidigung für drei Spiele gesperrt worden war. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm nun vor, über jemand anderen Wetten platziert zu haben, was er bestreitet. Ob diese Wetten mit Spielen seines eigenen Vereins in Verbindung stehen, ist derzeit nicht bestätigt und Gegenstand der laufenden Untersuchungen.

Metehan Baltacı: Ein Talent mit einem wiederkehrenden Muster

Ein weiterer prominenter Name auf der Liste der Festgenommenen ist Metehan Baltacı, 23 Jahre jung, Innenverteidiger von Galatasaray. Baltacı war bereits zuvor durch verbotene Wettaktivitäten aufgefallen und hatte dafür eine Sperre erhalten. Nach damaligen Medienberichten soll er während einer Leihe bei Eyüpspor eine große Zahl an Wetttransaktionen vorgenommen haben. Seine Festnahme steht offenbar in Verbindung mit denselben Strukturen, die nun erneut beleuchtet werden. Ermittler sehen in seinen früheren Auffälligkeiten einen belastenden Hintergrund.

Zorbay Küçük: Schiedsrichter zwischen Entlastung und neuen Fragen

Besonders heikel ist die Festnahme des aktiven Schiedsrichters Zorbay Küçük. Küçük galt in den vergangenen Jahren als einer der aufstrebenden Unparteiischen der Süper Lig und leitete zahlreiche hochklassige Partien. Sein Name tauchte bereits im Oktober in einer viel diskutierten Liste auf, in der der Verbandspräsident İbrahim Hacıosmanoğlu öffentlich behauptete, hunderte Schiedsrichter hätten Wettkonten. Küçük wies dies entschieden zurück und legte Belege für Identitätsdiebstahl vor. Der Verband hob daraufhin die gegen ihn verhängten Maßnahmen wieder auf. Die erneute Festnahme wirft deshalb neue Fragen auf: ob Küçüks Daten weiterhin missbraucht wurden oder ob die Ermittler diesmal über zusätzliche Hinweise verfügen. Dazu gibt es bislang keine gesicherten Angaben.

Murat Sancak: Der umstrittene Ex-Präsident von Adana Demirspor

Auch der ehemalige Klubpräsident von Adana Demirspor, Murat Sancak, wurde festgenommen. Sancak ist im türkischen Fußball eine schillernde, aber höchst umstrittene Figur. Unter seiner Führung kehrte Demirspor 2021 nach 26 Jahren in die Süper Lig zurück und qualifizierte sich später sogar für den europäischen Wettbewerb. Gleichzeitig waren seine Amtsjahre geprägt von finanziellen Krisen, internen Konflikten und mehreren Sanktionen durch den Verband. Ein besonders chaotischer Moment war der 9. Februar 2025, als die Mannschaft in einer Partie gegen Galatasaray bereits in der 29. Minute geschlossen den Platz verließ – ein Vorgang, der landesweit für Fassungslosigkeit sorgte. Die Staatsanwaltschaft ordnet Sancak nun möglichen Aktivitäten im Zusammenhang mit illegalen Wetten zu, ohne bislang Details zu nennen.

Ein strukturelles Problem, das tiefer reicht als einzelne Karrieren

Die Ermittlungen zeichnen das Bild eines systemischen Problems, das tief in den Strukturen des türkischen Fußballs verankert ist. Bereits Ende Oktober hatte eine Erklärung des TFF-Präsidenten für Entsetzen gesorgt: Mehr als tausend Profispieler sollen demnach Wettkonten besitzen, Hunderten davon wird aktives Wetten vorgeworfen. Der Verband suspendierte daraufhin über 1.000 Spieler vorläufig, darunter Akteure aus der Süper Lig, der TFF 1. Lig, der U19-Nationalmannschaft und auch Dutzende Schiedsrichter. Einige Fälle betrafen junge Profis, bei denen mediale Stimmen von „jugendlichen Einzelfehlern“ sprachen. Andere wiederum wiesen ein klares Muster systematischen Wettverhaltens auf.

Die Staatsanwaltschaft Istanbul arbeitet in der aktuellen Phase mit mehreren Cybercrime- und Finanzermittlungsabteilungen zusammen. Weitere Festnahmen gelten als möglich, offizielle Anklagen stehen jedoch noch aus. Zugleich wächst der Druck auf den türkischen Fußballverband TFF, seine Kontrollmechanismen grundlegend zu reformieren. Für den türkischen Fußball geht es nun um Glaubwürdigkeit, um internationale Reputation – und um das Vertrauen einer ohnehin tief gespaltenen Fanszene.

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