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Politik

Türkei am Scheideweg: Demokratie oder Politischer Islam

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Die Türkei hat sich in den vergangenen Jahren von der EU entfernt und führt ein politisches Eigenleben. Das wirkt sich sowohl auf die Innen- als auch auf die Außenpolitik negativ aus. Auf der Abant-Plattform suchen Intellektuelle aller politischen Lager nach Lösungen. (Foto: dha)

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Die Türkei hat sich unter der AKP von der EU entfernt und begonnen, ein politisches Eigenleben zu führen. Das wirkt sich negativ sowohl auf die Innen- als auch auf die Außenpolitik aus. Die Abant Plattform bezog nun Stellung in einer 21-Punkte Erklärung.
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Tagungsbericht: Die Abant-Plattform ist ein Forum des Journalisten- und Schriftstellerverbandes (GYV). Das Forum trifft sich nunmehr seit über 15 Jahren regelmäßig mit Intellektuellen aus verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Lagern und diskutiert ein aktuelles Thema. Die 33. Abant-Plattform trug den Titel „Turkey’s Direction – Türkei am Scheideweg“.

Die Tagung fand nicht wie üblich im traditionellen Veranstaltungsort Abant in der Provinz Bolu, sondern in Akçakoca an der westlichen Schwarzmeerküste statt. Der Grund dafür war, dass obwohl die Veranstalter mit dem Tagungshotel in Abant alle Formalitäten im Vorfeld geklärt hatten, das Hotel die Tagung nicht ausrichten wollte. Die Veranstalter mussten deshalb auf einen anderen Ort in Akçakoca in der Provinz Düzce ausweichen.

Der Leiter der ersten Sitzung Prof. Dr. Seyfettin Gürsel sagte: „Noch bis vor wenigen Jahren hätte niemand gedacht, dass eine Konferenz unter solch einem Titel stattfinden würde.“ Denn die Richtung der Türkei stand bis vor einigen Jahren fest: Aufarbeitung der Rolle des Militärs in der Politik, EU-Mitgliedschaft, wirtschaftlicher Aufschwung und politische Stabilität, Reformen und das Versprechen der AKP-Regierung, all dies durch eine neue zivile Verfassung, welches die Militärverfassung vom 1982 ablösen sollte, zu manifestieren. Die Menschen hatten Hoffnung auf mehr Demokratie und mehr Freiheiten gegenüber dem autoritären kemalistischen Staat.

Heute diskutiert die Türkei jedoch darüber, ob die Politik religiöse Referenzen braucht, für eine autoritäre Regierung eine Legitimation über die Wahlurne ausreicht und wie man wieder zurück auf den Pfad Demokratie kehren kann. Das alles waren Fragen, auf welche die Teilnehmer nach der Diskussion ihre Antworten in einer gemeinsamen 21-Punkte-Erklärung niederschrieben.

Was die Türkei unterscheidet

Neben der innenpolitischen prekären Lage debattierten die Teilnehmer außerdem über die Stellung der Türkei im internationalen System und die künftige Ausrichtung der türkischen Außenpolitik im Hinblick auf die jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten. Antworten wurden auf die Fragen „Befindet sich die  Nahost-Politik der Türkei  derzeit in einer Sackgasse?“ Die Türkei wird zunehmend mit Terrororganisationen, wie z.B. IS assoziiert, statt mit Reformen und Demokratisierung. Wieso?

In der Abschlusserklärung heißt es unter Punkt 3: „Der Nahe Osten durchlebt einen tiefgreifenden Wandel. Es ist Zeit, dass die Türkei die Parameter ihrer Außenpolitik neu bewertet. Das Land braucht, basierend auf neuen und fundierten Analysen, eine neues Paradigma in der Außenpolitik. Ein Hindernis für eine wirkungsvolle Außenpolitik ist die Tatsache, dass die Türkei in den drei wichtigsten Hauptstädten der Region nicht mehr mit eigenen Botschaftern vertreten ist.“

Auch wenn die Türkei ein überwiegend muslimisches Land ist, unterscheidet sie sich doch von anderen Ländern der Region signifikant. Die Türkei ist eine säkulare Demokratie. Sie ist Beitrittskandidat der EU und die AKP-Regierung stand lange Zeit für die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie. Mit diesen Eigenschaften hatte das Land lange eine Vorbildfunktion in der gesamten Region inne.

Der ehemalige Außenminister unter der ersten AKP-Regierung, Yaşar Yakış, sagte, dass die Türkei ohne die Zustimmung Ägyptens im Nahen Osten nichts ausrichten könne. (dha)

Ohne Ägypten kann die Türkei im Nahen Osten nichts ausrichten

Der ehemalige Außenminister unter der ersten AKP-Regierung, Yaşar Yakış, sagte, dass die Türkei ohne die Zustimmung Ägyptens im Nahen Osten nichts ausrichten könne.

Dafür, dass die Türkei an Bedeutung verloren hat, trägt die AKP selbst Verantwortung. Seit den Korruptionsermittlungen vom 17. Dezember 2013 arbeitet die Regierung selbst an einer Demontage der Türkei. Sie hat sich nicht nur von einer distanzierten Außenpolitik, die auf eine Balance zwischen Werten und Interessen achtet, verabschiedet, sondern steht mittlerweile für eine „sunnitische“ Außenpolitik und hat mit diesem neuen Ansatz ihre Verhandlungsposition in vielen Konflikten, wie z.B. im Bürgerkrieg in Syrien und dem Machtwechsel in  Ägypten verspielt.

Der Journalist Murat Aksoy vom Nachrichtenportal t24 nimmt regelmäßig an den Abant-Treffen teil und kommentiert die aktuelle Lage der Türkei folgendermaßen: „Die AKP setzt anstatt auf Pluralismus auf das Mehrheitsprinzip. Sie hat das Land von der EU-Perspektive entfernt und nach Außen hin zunehmend isoliert. Der Übergang von einem Demokratiemodell zu einem auf dem Politikverständnis, das auf die Einheit der sunnitischen Welt setzt und der Türkei dabei eine Führungsrolle zuspricht, vollzog sich sehr schnell. Dieser Wandel zeigt sich in der Außenpolitik am deutlichsten in Syrien, wo Baschar al-Assad immer noch regiert und in Ägypten, wo Mursi mit einem Militärputsch aus dem Amt gejagt wurde. In der Innenpolitik zeigt sich der Wandel an der Reaktion des Premierministers auf die Gezi-Proteste.“

AKP nicht mehr die Partei aus dem Jahre 2011

Viele Menschen, die eigentlich keine AKP-Anhänger sind, haben bei den Parlamentswahlen im Jahre 2011 für die Partei für Gerechtigkeit und Fortschritt von Erdoğan gestimmt, weil damit die Hoffnung auf mehr Demokratie und Normalisierung verbunden war. Auch das war ein Thema, über das die zahlreichen Teilnehmer diskutierten. Anstatt der erwarteten Demokratisierung machte die AKP jedoch ihre religiöse politische Kultur zum Maßstab für die Regierungsarbeit und verfällt bei ihrem Blick auf die Gesellschaft in ein Schwarz-Weiß-Denkmuster: Diejenigen, die für die AKP sind und ihre Gegner. Jedoch gelingt es der AKP mit diesem neuen politischen Konzept noch nicht einmal ihre alten Unterstützer aus dem religiös-konservativem Spektrum an sich zu binden. Im Gegenteil.

Die Auswirkungen dieses Paradigmenwechsels seit 2011 auf die türkische Außenpolitik ist nicht weniger verheerend. In der islamischen Welt gibt es unterschiedliche Konfessionen, Orden und zudem auch unterschiedliche Interpretationen religiöser Quellen. Hinzu kommt noch, dass in muslimischen Ländern verschiedene Ansätze als Antwort auf die Frage, wie mit der Moderne umzugehen ist, existieren. Allein der Blick auf das wahhabitische Saudi-Arabien und den schiitischen Iran reicht, um zu erkennen, wie kompliziert und gegensätzlich die sogenannte „islamische Welt“ ist. Neben dem konfessionellen Unterschied sind beide Länder aufgrund ihrer reichen Energieressourcen Staaten, die sich selbst als führende Mächte in der islamischen Welt betrachten. Eine Vorherrschaft der Türkei kommt insbesondere für diese beiden Regionalmächte nicht in Frage.

Zusätzlich gibt es noch Bewegungen, die ihren Ursprung zwar im sunnitischen Islam haben, jedoch die Position vertreten, dass sie die wahre Version des Islam repräsentieren würden. Sie sehen sich nicht nur für die „Rechtleitung der Muslime“, sondern auch den Rest der Welt verantwortlich. Was noch viel schlimmer ist, ist die Tatsache, dass sie auf Terror und Gewalt setzen. Al-Qaida ist ein altes, die IS ist ein aktuelles Beispiel hierfür.

Der Ausweg für die Türkei ist die Rückkehr zur Demokratie im Inneren und eine stärkere Integration in die EU statt Konfessionalismus und der Politisierung des Islam. Die AKP selbst liefert mit ihrer Politik seit 2011 den besten Beweis dafür, dass das demokratisch-säkulare politische Modell der Türkei, ihre Beziehungen zum Westen und ihre EU-Kandidatur die größten Stützen für Stabilität sind. Eine Rückkehr zu diesen Werten ist notwendig.