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Politik

„Hamas jetzt in jedem Heim beliebt“ – Israelischer Kommentator spricht von „unentschieden“

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Die israelischen Bodentruppen haben eine Spur der Zerstörung hinterlassen, die Tunnelinfrastruktur der Hamas ist weitgehend zerstört. Die Organisation verfügt jedoch immer noch über Raketen und die Macht im immer noch isolierten Gaza. (Foto: rtr)

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Wenige Minuten vor Beginn der Waffenruhe feuerten Palästinenser noch eine letzte Salve von rund 20 Raketen auf Israel ab. Die Botschaft ist eindeutig: Die Palästinensergruppen wollten gegenüber den abgezogenen israelischen Bodentruppen am Dienstag noch einmal „nachtreten“.

Auch die prompte Reaktion Israels mit Luftschlägen zeigt: Dieses tödliche Spiel ist noch nicht zu Ende. Selbst wenn die dreitägige Waffenruhe halten sollte, beginnt jetzt möglicherweise schon der Countdown zur nächsten Runde der Gewalt.

„Es ist nicht angenehm, dies zu sagen, aber diese Runde ist unentschieden zu Ende gegangen“, sagte ein Kommentator des israelischen Fernsehens zur Bilanz des einmonatigen Kriegs im Gazastreifen. Andere israelische Experten sehen in der Zustimmung der Hamas zu dem ägyptischen Waffenruhe-Vorschlag hingegen das Einknicken einer erheblich geschwächten Organisation.

Die im Gazastreifen herrschende Hamas hat zweifellos herbe Verluste eingesteckt, aber sie bleibt erst einmal an der Macht. Israels Armee hat 32 ihrer Tunnel im Grenzgebiet zerstört, die Anschlägen dienen sollten. Rund 100 Millionen Dollar hat die Hamas nach israelischen Militärangaben in dieses „Prestigeprojekt“ investiert. Doch mit rund 3000 Raketen verfügen die Palästinenser auch jetzt noch über etwa ein Drittel ihres ursprünglichen Arsenals. Die potenzielle Bedrohung israelischer Ortschaften bleibt damit bestehen.

Jedenfalls mehr als 50% der Toten sollen Zivilisten sein

Hauptverlierer des bisher längsten und verlustreichsten Gaza-Kriegs ist die leidende Zivilbevölkerung. Mehr als 1860 Tote und rund 10 000 Verletzte sind das Resultat massiver Angriffe Israels aus der Luft, vom Boden und von See aus. Nach Informationen der israelischen Armee sind rund 900, also etwa die Hälfte, militante Kämpfer; die Vereinten Nationen gehen hingegen von 80 Prozent zivilen Opfern aus.

Der palästinensische Politikwissenschaftler Naschat Aktasch sagte am Dienstag, für die militanten Organisationen sei der Krieg „ein Kampf um Leben und Tod“ gewesen. Er sieht nun einen „großen Auftrieb für die Hamas“. Vor dem Krieg sei die Organisation noch als sehr geschwächt angesehen worden. „Jetzt ist Hamas in jedem Heim beliebt. Jeder unterstützt jetzt den Widerstand.“

Bei den Verhandlungen in Kairo werde Hamas weiter eine Aufhebung der Blockade fordern. „Sie werden nicht weniger akzeptieren“, meint Aktasch. „Hamas hat seine militärischen Fähigkeiten in diesem Krieg nicht eingebüßt, ganz im Gegenteil“, sagt der palästinensische Experte. „Sie hat bewiesen, dass sie dem Druck standhalten und ihre Forderungen bei künftigen Verhandlungen auf den Tisch legen kann.“

Gegen die Einschätzung Aktaschs spricht hingegen, dass die Hamas immer noch auf brutale Repressionsmaßnahmen angewiesen ist, um Widerstand in der Bevölkerung zu ersticken. So berichteten israelische Quellen von einem Versuch von etwa 20 Palästinensern in Gaza vor einer Woche, gegen den Raketenhagel der Hamas gegen Israel zu protestieren und die Alleinverantwortung der Hamas für das Leid im Gazastreifen öffentlich zu benennen. Alle Beteiligten sollen noch am Ort der Zusammenkunft in aller Öffentlichkeit von Hamas-Kämpfern ermordet worden sein.

Israel droht „Krieg der Bilder“ zu verlieren

Auch Israel zahlt für den Krieg einen hohen Preis. Die schrecklichen Bilder der Zerstörungen im Gazastreifen haben seinem ohnehin angekratzten Ansehen in der Welt schweren Schaden zugefügt. Der jüdische Staat hat in dem Krieg 64 Soldaten und drei Zivilisten zu beklagen, mehrere hundert Menschen sind verletzt worden. Auch zahlreiche Politiker und Kommentatoren, die stets „die israelische Position im Kampf gegen den Terrorismus der Hamas“ unterstützt hatten, äußerten Befremden über die hohe Zahl an Zivilisten, die im Zuge der Offensive getötet wurden und die Befürchtung, Israel könnte auf Dauer den „Krieg der Bilder“ verlieren, je mehr es der Hamas gelinge, die Bilder toter, schwer verletzter oder um ihre Eltern trauernder Kinder für ihre Propaganda gegen Israel zu missbrauchen.

Israels Militär soll einem Bericht des US-Portals „The Blaze“ zufolge ein Handbuch der Qassam-Brigaden, des militärischen Flügels der Hamas, in die Hände gefallen sein, in dem zwar nicht explizit zur Verwendung „menschlicher Schutzschilde“ in der urbanen Kriegsführung aufgerufen wird, aber darüber reflektiert wird, wie Kampfsituationen in dicht bevölkerten Gebieten die israelischen Einheiten an der vollständigen Ausschöpfung ihrer Feuerkraft hindern und zerstörte Häuser von Zivilisten den Hass gegen die angreifenden IDF-Einheiten in der Bevölkerung steigern würden.

Alle sind sich jedoch einig darüber, dass die Raketenabwehr „Eisenkuppel“ viel schlimmeren Schaden verhindert hat. Mehr als 3300 Raketen haben militante Palästinenser auf Israel abgefeuert. Davon wurden 580 abgefangen, die sonst in Wohngebieten eingeschlagen wären.

Bei den Verhandlungen in Kairo über eine dauerhafte Waffenruhe will Israel als Bedingung für einen Wiederaufbau des Gazastreifens eine Entmilitarisierung des schmalen Küstenstreifens fordern. Wie das genau vor sich gehen soll, ist allerdings noch unklar.

Jossi Kuperwasser vom israelischen Ministeriums für strategische Angelegenheiten sagte am Dienstag: „Wir müssen sicherstellen, dass die internationale Gemeinschaft alle notwendigen Schritte unternimmt, damit der (in Zukunft gelieferte) Zement für zivile Projekte verwendet wird und nicht für neue Tunnel.“

Uneinigkeit in Jerusalem über Einbindung der PA

Zu Vorschlägen, den Grenzübergang Rafah nach Ägypten künftig von Sicherheitskräften des gemäßigten Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas bewachen zu lassen, sagte er: „Wir können Abu Masen (Abbas) nicht vollständig trauen.“ Es müsse auch weitere, internationale Kontrollmechanismen geben.

Auch innerhalb der Regierung in Jerusalem herrscht bezüglich der Einbeziehung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) in die Kontrolle der Umsetzung der Vereinbarung Uneinigkeit. Während Premierminister Benjamin Netanyahu bereits in den ersten Tagen der Offensive betont hatte, dass Palästinenserpräsident Abbas „Teil der Lösung“ sein könnte, unterstrich Außenminister Lieberman, dass Abbas „kein Verbündeter“ sei und es ein schwerer Fehler wäre, ihn zu einem solchen zu machen. Der Sender i24news zitiert Lieberman mit den Worten, Abbas habe „in allen internationalen Foren gegen Israel agiert“.  

Auf beiden Seiten der Grenze kehrten am Dienstag Menschen in ihre Wohnorte zurück, häufig aber mit einem bangen Gefühl. „Ist dies jetzt ein Happy End?“, fragte am Dienstag ein Kommentator der israelischen Zeitung „Jediot Achronot“. Und antwortete selbst: „Nicht wirklich. Wir treffen uns in der nächsten Runde wieder.“ (dpa/dtj)