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Panorama

Am Pranger: Sabah stellt nächsten Exil-Journalisten zur Schau

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Mittels sogenannten Doxings und falscher Anschuldigungen bringt die regierungsnahe Zeitung „Sabah“ den Journalisten Abdullah Bozkurt ins Fadenkreuz potenzieller Gewalttäter. Bozkurt war bereits 2020 in Stockholm von Unbekannten angegriffen worden.

Als früherer Leiter des Korrespondentenbüros der „Zaman“ in den USA und späterer Büroleiter von „Today’s Zaman“ ist Abdullah Bozkurt vielen Kollegen in aller Welt ein Begriff. In Stockholm leitet er nun den Think-Tank „Nordic Research & Monitoring Network“. Das Leben in der schwedischen Hauptstadt könnte für ihn jedoch schon bald gefährlich werden.

Der Grund: Die regierungsnahe türkische Zeitung „Sabah“ hat offen zur Hatz gegen ihn aufgerufen – unter Nennung seiner Wohnadresse. Am Montag (10.10.) publizierte das Blatt einen sogenannten Exklusivbericht über Bozkurt. Darin heißt es, der „Sabah Spezial-Nachrichtendienst“, der „FETÖ-Flüchtlinge“ aufspüre, sei ihm auf die Spur gekommen.

„Sabah“ erfindet Mitwirkung an Botschafter-Attentat

„FETÖ“ ist der von der türkischen Regierung kreierte Name für die Gülen-Bewegung, die in der Türkei zur Terrororganisation erklärt wurde. Bozkurt, so heißt es in dem Artikel, habe durch seinen unabhängigen Journalismus nicht nur „schwarze Propaganda-Aktivitäten“ gegen die Türkei betrieben.

„Sabah“ bringt den Journalisten sogar in Verbindung mit dem Mordanschlag auf den russischen Botschafter in der Türkei, Andrej Karlow. In dem Artikel heißt es, Bozkurt sei der „Planer“ des Anschlags, bei dem der Diplomat am 19. Dezember 2016 in Ankara getötet wurde.

Alle Schuld der Gülen-Bewegung

Der damals 22-jährige Attentäter, der Polizist Mevlüt Mert Altıntaş, kann zu den Hintergründen des Attentats nicht mehr befragt werden: Im Anschluss an seine Bluttat wurde er von Einsatzkräften vor Ort erschossen.

Die türkische Regierung hat schon früh nach der Tat das Narrativ gesetzt, die Gülen-Bewegung habe den Anschlag initiiert, um die türkisch-russischen Beziehungen zu vergiften. Glaubhafte Indizien für die Behauptung gab es nicht, und sogar die russische Regierung zeigte sich skeptisch.

Bozkurt bei Attentat nicht mehr in der Türkei

Tatsächlich hatte die türkische Regierung die „Zaman“ bereits im März 2016 gestürmt. Verlagsgebäude und Arbeitsgeräte waren beschlagnahmt. Die Regierung legte „Today’s Zaman“ still, und nach dem vereitelten Putschversuch vom 15. Juli erließ sie Haftbefehle gegen Journalisten. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hielt sich Abdullah Bozkurt gar nicht mehr in der Türkei auf.

Den Polizeiapparat hatte die Regierung Erdoğan bereits in den Jahren zuvor von angeblichen oder tatsächlichen Gülen-Anhängern „säubern“ lassen. Dass sie vier Monate nach dem Putschversuch einen 22-Jährigen mit entsprechenden Sympathien mit sensiblen Sicherheitsaufgaben betraut hätte, ist wenig wahrscheinlich.

Altıntaş hatte Erdoğan bei mindestens acht Gelegenheiten bewacht

Hingegen deutet vieles darauf hin, dass islamistische oder nationalistische Seilschaften aus dem AKP-Umfeld selbst hinter dem Anschlag standen. Ein Jahr zuvor hatte die türkische Luftabwehr einen russischen Kampfjet an der türkisch-syrischen Grenze abgeschossen. Eine Gruppe radikaler Rebellen, in deren Reihen sich auch türkische Kämpfer aus der „Idealistenbewegung“ befanden, tötete einen der abgesprungenen Piloten.

Der Vorfall sorgte für schwere diplomatische Verstimmungen zwischen der Türkei und Russland, die unter anderem einen Tourismusboykott nach sich zogen. Im Juni 2016 konnten beide Länder die Unwägbarkeiten ausräumen. Allerdings unterstützten weite Teile des islamistischen und nationalistischen Spektrums der Türkei weiter die Rebellen im syrischen Bürgerkrieg.

Nähe zu radikalen Kreisen im AKP-Umfeld

Der Kreml hingegen hielt zur Führung unter Machthaber Baschar al-Assad und blieb für die entsprechenden Kreise ein Feindbild. Dass die Eroberung von Aleppo, die im Dezember jenes Jahres stattfand, die Emotionen gerade dort hochkochen ließ, war damals schon in den sozialen Netzwerken zu beobachten. Als Altıntaş seine Schüsse auf den Botschafter abfeuerte, rief er diesem zu: „Wir sterben in Aleppo, und Sie sterben hier!“

Das regierungsnahe deutsch-türkische Portal „nex24“ schrieb damals über Altıntaş: „Der 22-Jährige habe Medienberichten zufolge den türkischen Präsidenten bei mindestens acht Auftritten bewacht, aber nicht zu dessen persönlichen Leibwache gehört.“

BBC zufolge war Altıntaş zuvor zweieinhalb Jahre lang bei der Anti-Krawall-Einheit der Polizei in Ankara. Zum Zeitpunkt der Tat soll er freigestellt gewesen sein. Unterm Strich deuten die Umstände eher auf eine Nähe des Attentäters zu radikalen Kreisen im AKP-Umfeld als auf Sympathien für Fethullah Gülen hin.

Bozkurt folgt auf Güven

Für die „Sabah“ sind die Fakten allerdings nur zweitrangig. Sie will sich offenbar als vermeintlich patriotisch profilieren, indem sie Rufmord und Doxing gegen unliebsame Journalisten betreibt. Am Ende ihres Artikels nennt sie die genaue Wohnadresse Bozkurts in Stockholm.

Bereits im Jahr 2020 war dieser in der Nähe seiner Wohnung angegriffen und verletzt worden. Kurz zuvor hatte der Sender „TRGT Haber“ dazu aufgefordert, Bozkurt „auszulöschen“. „Sabah“ hingegen schreibt, der Journalist habe seine Daten aus dem gesamten schwedischen Registrierungssystem löschen lassen, um „dem russischen Geheimdienst zu entkommen“.

Im September hatte „Sabah“ im Rahmen einer „Special Story“ den türkischen Exil-Journalisten Cevheri Güven gedoxt. Mit seinen YouTube-Videos deckt dieser Korruption in den höchsten türkischen Regierungskreisen auf.

Doxing gilt in Deutschland seit 2021 als Straftat

Die „Sabah“ hat in Hessen laut eigenen Angaben mehrere Monate nach ihm gesucht. Schließlich habe man den „Landesverräter“ ausfindig gemacht und ihn bei einem Gang in seinem Viertel gefilmt. Im Artikel wurden Fotos von Güvens Wohnhaus veröffentlicht.

In Deutschland gilt Doxing seit September 2021 als „Gefährdendes Verbreiten personenbezogener Daten“ und als Straftatbestand nach § 126a. Das Veröffentlichen von frei zugänglichen Daten wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet, das Veröffentlichen von nicht frei zugänglichen Daten mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe.

Die Verbreitung der Daten sowie deren Inhalt muss dazu geeignet und dazu bestimmt sein, die betroffene Person oder ihr nahestehende Personen „eines gegen sie gerichteten Verbrechens oder einer sonstigen rechtswidrigen Tat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen eine Sache von bedeutendem Wert auszusetzen“.

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