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Geschichte

„Der blaue Bus“: Die Putschnacht aus Sicht der Militärschüler

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Was ist in der Putschnacht vom 15. Juli 2016 genau geschehen? Warum wurden ahnungslose Militärschüler mitten in die aufgebrachte Menschenmenge geschickt? Das sind nicht die einzigen Fragen, die sich bezüglich des Putschversuchs in der Türkei stellen. Beteiligte Militärschüler haben jetzt eine Doku veröffentlicht, in der sie ihre Sicht der Geschehnisse schildern.

Es war die wohl schlimmste Nacht in der jüngeren Geschichte der Türkischen Republik. In jenen späten Stunden des 15. Juli 2016 stand das türkische Militär im Fokus. Gegen 23 Uhr Ortszeit tauchte es plötzlich auf der Bosporus-Brücke auf und blockierte diese von beiden Seiten.

Jetzt haben ehemalige Militärschüler eine Dokumentation zu den Ereignissen in der Putschnacht veröffentlicht. In dem rund 45-minütigen Beitrag geht es um ihre Sicht der Dinge. „Wir sollten überraschenderweise keinen Sport an diesem Tag treiben. Ein Kommandant sagte, wir sollten uns ausruhen“, erzählt beispielsweise einer der Schüler, der nach eigenen Angaben wenige Stunden später zusammen mit mehreren Dutzend Mitschülern in einem blauen Bus auf die Bosporus-Brücke gebracht wurde. „Wir wussten nicht, wo wir hinfahren. Als wir auf der Brücke ankamen, überraschte uns die große Menschenmenge“, sagt ein weiterer junger Mann. Dort habe man auf der einen Seite einige Scheibe des Busses eingeschlagen, andererseits hätten einige aus der Menge versucht, die Schüler in Schutz zu nehmen.

Militärschüler erfährt vom Volk, dass es einen Putsch gibt

Lokman Avcı, Schüler in der türkischen Luftwaffe, sei von vielen Leuten angegangen worden. „Viele haben mich angebrüllt und gesagt, ‚Was denkt ihr, wer ihr seid? Was denkt ihr, was ihr hier tut!?'“ Das habe ihn verwundert. Deshalb habe er gefragt, was er und seine Mitschüler denn getan hätten. Erst dann habe er vom Putsch erfahren. „Ein Polizeibeamter hat dann auch bemerkt, dass wir als Schüler nur als Köder auf die Brücke geschickt wurden“, erzählt Avcı weiter. Nur wenige der Betroffenen sind heute auf freiem Fuß. Über 200 von ihnen sind seit sechs Jahren inhaftiert. Den meisten wird Beteiligung am Putschversuch vorgeworfen, obwohl sie nur den Befehlen ihrer Kommandanten folgten.

Kürzlich wurden überraschenderweise etwa 60 Schüler freigesprochen. Einer von ihnen ist Furkan Çetinkaya. Seine Mutter hatte mit ihrem Kampf für ihren Sohn und dessen Freunde für Aufsehen im Land gesorgt. Kemal Kılıçdaroğlu, Chef der kemalistischen Oppositionspartei CHP, lud Çetinkaya und seine Familie in sein Büro ein.

Eingeschränkte Rechte im Gefängnis

Die Schüler erzählen auch von ihren Erlebnissen hinter Gittern. „Dort hat man uns einige Rechte genommen. Wir durften zum Beispiel keine Briefe verschicken.“ Die Schilderungen der Ereignisse werfen viele weitere Fragen zum Hintergrund und den Drahtziehern des Putschversuchs auf. Die türkische Regierung macht nach wie vor die Bewegung um den türkischen Gelehrten Fethullah Gülen verantwortlich. Dafür gibt es bislang allerdings keine stichhaltigen Belege, die auf internationaler Ebene anerkannt wurden. Auch Vertreter der Gülen-Bewegung hüllen sich weitestgehend in Schweigen, weisen die Vorwürfe allerdings zurück.

Lynch-Kampagne regierungsnaher Medien

Regierungsnahe Medien haben indes eine Lynch-Kampagne gegen die Doku und den oben erwähnten Freispruch für einige Militärschüler begonnen. Der Beitrag sei von der Gülen-Bewegung initiiert worden und nicht ernst zu nehmen, behaupten einige. Dennoch könnten die Aussagen der Militärschüler etwas Licht ins Dunkel bringen und bei der Aufarbeitung der Putschnacht helfen.

„Der blaue Bus“ (hier mit deutschen Untertiteln) wurde bis jetzt über eine Million mal auf YouTube angeklickt.

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