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Der Nahost-Konflikt in deutschen Schulen: Woran denkst du, wenn du „Gaza“ hörst?

  • Juli 4, 2025
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Der Nahost-Konflikt in deutschen Schulen: Woran denkst du, wenn du „Gaza“ hörst?

Wie lässt sich der Nahost-Konflikt in Schulen sachlich, empathisch, ohne Polarisierung und Schuldzuweisungen behandeln? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer Veranstaltung, zu der neulich Berlin-Mitte-Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger eingeladen hatte. Daran nahmen rund 50 überwiegend pädagogische Fachkräfte teil.

Im Fokus des Abends in Wedding stand das Buch „Trialog – Wie wir über Israel und Palästina sprechen“, geschrieben von Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann. Hassoun ist Deutsch-Palästinenserin und als kleines Kind mit ihrer Familie aus dem Libanon nach Deutschland geflohen. Sie arbeitet seit über 15 Jahren als politische Bildnerin. Shai Hoffmann, ein deutscher Jude mit israelischen Wurzeln, ist Sozialunternehmer und Aktivist. In einer Zeit, in der der Krieg im Nahen Osten teils verschwiegen wird und stark polarisiert, haben die beiden Autoren gemeinsam das Buch verfasst und stehen für Toleranz sowie einen offenen Umgang mit dem Thema.

„Brave Space“: Raum für Ambiguität und Empathie schaffen

Hassoun und Hoffmann sind selbst von dem Konflikt betroffen und arbeiten nach dem von ihnen entwickelten Konzept „Trialog“. Es zielt darauf ab, Schülerinnen und Schülern aus geschlossenen Wahrnehmungsräumen herauszuholen und ihnen zu ermöglichen, verschiedene Perspektiven auszusprechen sowie auszuhalten. Die beiden setzen auf Biographiearbeit, emotionale Reflexion und Vertrauen: Die Veranstaltungen beginnen stets mit einer Vorstellungsrunde und der Vereinbarung, einen „Brave Space“ zu schaffen – einen geschützten Raum, in dem alle Perspektiven willkommen sind. „Wenn wir dieses Thema nicht in der Schule behandeln, holen sich die Jugendlichen ihre Informationen aus den sozialen Medien, etwa von TikTok“, warnt Hassoun. Dort dominierten häufig vereinfachte, einseitige oder gar radikale Narrative. Sie spricht von einer zunehmenden emotionalen Betroffenheit und Radikalisierung, die sich auch in Klassenzimmern zeige. „Uns geht es darum, Räume zu schaffen, in denen auf Augenhöhe debattiert und unterschiedliche Sichtweisen gleichberechtigt gehört werden“, sagt sie.

Zuhören, einordnen, Emotionen zulassen

Hoffmann betont die Notwendigkeit, Ambiguitätstoleranz und Empathie zu fördern. „Was für Juden die Erlösung ist, ist für Palästinenser die Katastrophe – und umgekehrt“, so Hoffmann. Als Beispiel nennt er den Zionismus. Aus Sicht von vielen Juden ist diese Ideologie eine Erlösung, weil sie nach der Shoa die Gründung eines eigenen Staates ermöglicht hat. Aus Sicht von Palästinensern ist sie hingegen eine Katastrophe, da sie Vertreibung, Heimatverlust und Leid zur Folge hat: „Diese Gleichzeitigkeit und Parallelität von Erfahrungen und Deutungen muss ausgehalten werden.“

Totschweigen ist keine Lösung

Hoffmann kritisiert, dass das Thema fast an allen deutschen Schulen „totgeschwiegen“ werde – obwohl es viele Lernende direkt betreffe. Und das nicht nur jene mit arabischen Wurzeln: Die Antwort von Hassoun und Hoffman: „Das ist der falsche Weg. Wir müssen zuhören, eigene Erfahrungen teilen und so Wege für gegenseitiges Verständnis öffnen.“

Beide Autoren lasen an jenem Abend Auszüge aus ihrem Buch und traten mit den Teilnehmenden in den Dialog. Obwohl auch die muslimischen Gemeinden zu der Veranstaltung eingeladen waren, waren sie kaum vertreten. Dabei ging es neben Zionismus und Nahda um Menschenrechte, Doppelmoral und auch um die Rolle Deutschlands als Waffenlieferant Israels. Deutschland mache sich mitschuldig, sagt Hassoun. Hoffman ergänzt: „Deutschland ist in der Lage den Krieg zu beenden.“ Vor allem ging es aber um die Frage, wie politisch-pädagogische Arbeit zu diesem Thema gelingen kann, ohne Vorurteile zu verstärken oder einzelne Gruppen zu stigmatisieren.

Eine Frage der Haltung

Hassoun kritisiert, dass es fast allen Entscheidungsträgern an Haltung fehle. „Die Art, wie dieses Thema in der Öffentlichkeit behandelt wird, entfremdet viele Migrant:innen sowohl von demokratischen Werten, insbesondere aber von der vierten Gewalt“, so Hassoun und meint damit die Medien. Neben einer authentischen Haltung fehle es an einer klaren Position im Sinne der Menschenrechte und des Völkerrechts – ohne doppelte Standards. Auch auf Seiten der Politik sei zu beobachten, dass echte und ehrliche Auseinandersetzung oft ausbleibe.

Die Lesung und Diskussion in Berlin-Wedding machte deutlich: Schülerinnen und Schüler brauchen Räume, in denen sie ihre Perspektiven einbringen dürfen – aber auch lernen, andere Perspektiven auszuhalten. Genau diesen Raum bietet der Trialog. Ein Modell, das Schule machen sollte. Wer sich für das Projekt der beiden Autorinnen interessiert, erfährt hier mehr.

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