Gesellschaft
Fast die Hälfte der Deutschen ist gegen politische Themen im Sport
Fast die Hälfte der Deutschen wünscht sich, dass politische Debatten nicht bei Sportereignissen geführt werden. 46 Prozent der Befragten befürworteten in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur eine Trennung von Politik und Sport bei Top-Events wie Olympischen Spielen und Fußballturnieren. 38 Prozent der Bundesbürger halten es dagegen für richtig, dass bei Sportereignissen auch über politische Themen diskutiert wird.
Zuletzt hatte der Zoff um das Verbot der „One Love“-Kapitänsbinde, die für Vielfalt und Meinungsfreiheit stehen soll, oft aber als Solidarisierung mit der LGBTQ-Community interpretiert wird, bei der Fußball-WM in Katar für Aufsehen gesorgt. Dem Deutschen Fußball-Bund und sieben anderen Verbänden war vom Weltverband FIFA untersagt worden, dass die Kapitäne ihrer Teams die Binde tragen.
Auch die Diskussion um die Verletzung von Menschenrechten und den Umgang mit Gastarbeitern in Katar hatte die Weltmeisterschaft überschattet. Bundestrainer Hansi Flick hatte die starke Politisierung der WM kritisiert. Die DFB-Elf müsse wieder primär für das Fußballspielen zuständig sein und nicht für die Thematisierung gesellschaftlicher Aspekte. „Das ist unsere Aufgabe – es wäre schön, wenn man uns das zugesteht. Für die Politik sind andere ausgebildet“, sagte Flick.
Kahn: Spieler werden überfordert
Die Fußball-Stimmung in Deutschland habe unter der Politisierung des Turniers gelitten. „Haben wir in Deutschland alles dafür getan, damit sich die Menschen auf die WM freuen konnten?“, stellte Flick als Frage in den Raum.
Auch Bayern Münchens Vorstandschef Oliver Kahn warnte davor, den Fußball mit politischen Themen zu überfrachten. „Die Politisierung, die im Fußball stattfindet, wird immer extremer und größer. Damit überfordert man die Spieler und ich finde, man überfordert auch den Fußball langsam. Das kann der Fußball alles gar nicht mehr leisten, was da von außen alles an ihn herangetragen wird“, sagte Kahn im Podcast bei OMR.com.
Natürlich sollten Sportler auch mal Zeichen setzen, betonte Kahn: „Der Fußball kann ein Mosaikstein sein, wenn er ein Zeichen setzt, aber der Fußball kann nicht Aufgaben übernehmen und nicht die Rolle übernehmen, die eigentlich andere übernehmen müssten.“ Dafür sei die Politik verantwortlich.
Nouripour: „Fußballprofis müssen keine Helden sein“
Grünen-Chef Omid Nouripour sieht die Politik künftig stärker in der Pflicht, Sportler von gesellschaftlichen Debatten zu entlasten. „Es ist wohlfeil, wenn Politiker von Fußballprofis verlangen, dass sie Helden sein müssen. Wir haben unsere Arbeit nicht richtig gemacht“, sagte Nouripour dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“.
Dies gelte es auch im Hinblick auf die Heim-Europameisterschaft in Deutschland 2024 zu ändern. In der Pflicht seien die Verbände, nicht die Spieler. „Die Politik sollte die Verbände dazu ermutigen, Zeichen zu setzen, aber sie sollte nicht den Fahrersitz übernehmen und solche Aktionen anstoßen“, sagte der Grünen-Bundesvorsitzende.
Schon die Olympischen Winterspiele in Peking zu Jahresbeginn waren von Diskussionen um den Gastgeber und sogar Boykott-Aufrufen begleitet worden. Menschenrechtler warfen Ausrichter China die Verfolgung der Minderheit der Uiguren, Einschüchterung von Sportlern, Zensur und eine Politisierung der Spiele vor.
„Ich reise als Eishockey-Spieler da hin und nicht als Annalena Baerbock“
„Ich reise als Eishockey-Spieler Moritz Müller da hin und nicht als Außenministerin Annalena Baerbock“, hatte der Kapitän des Eishockey-Nationalteams zu Forderungen nach klaren politischen Signalen bei den Winterspielen gesagt. Rodlerin Natalie Geisenberger, die einen Verzicht auf die Spiele erwogen hatte, sagte: „Wenn ich gesagt hätte, ich fliege nicht, dann hätte sich in China genau nichts verändert.“
Dem Kölner Fußballtrainer Steffen Baumgart gehen die Debatten um politische Zeichen von Sportlern ebenfalls zu weit. „Wir sollten aufhören, Spieler zu instrumentalisieren. Wir Sportler sollten uns nicht vor den Karren spannen lassen. Das heißt nicht, dass wir keine Haltung einnehmen dürfen“, sagte der Chefcoach des 1. FC Köln der „Kölnischen Rundschau“.
dpa/dtj