Menschenrechte Panorama

Fatma (15) stirbt allein: Die Hexenjagd gegen die Gülen-Bewegung und ihre Folgen

  • April 8, 2025
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Fatma (15) stirbt allein: Die Hexenjagd gegen die Gülen-Bewegung und ihre Folgen

Die 15-jährige Fatma Sümeyra Gelir starb kürzlich allein in ihrer Wohnung – während ihre Mutter, eine unter fadenscheinigen Gründen inhaftierte Lehrerin, hunderte Kilometer entfernt in Haft saß. Der Fall steht exemplarisch für das Leid vieler Familien, die Opfer der Verfolgung mutmaßlicher Gülen-Anhänger in der Türkei geworden sind.

Wie die Zeitung „Aktif Haber“ am Samstag berichtete, ist die 15-jährige Fatma Sümeyra Gelir in der Vorwoche in Bolu verstorben. Das Mädchen betreute ihre beiden jüngeren Geschwister, seit die Mutter der Kinder, Melek Gelir, im 140 Kilometer entfernten Ferizli in der Provinz Sakarya inhaftiert wurde.

Gelir war 2018 in einem Schauprozess zusammen mit 46 weiteren Lehrerkräften zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Ihr wurde die Zugehörigkeit zur Gülen-Bewegung vorgeworfen – weil sie auf ihrem Smartphone die ByLock-Messenger-App installiert hatte. Alle Anträge, sie in ihre Heimatstadt zu verlegen, wurden verworfen.

Abgeordneter musste intervenieren, um Besuch des Begräbnisses zu ermöglichen

Tochter Fatma litt an Epilepsie. Es wird vermutet, dass die 15-Jährige infolge eines Anfalls erstickt ist. Einen Tag vor ihrem Tod hatte sie ihre Mutter noch im Gefängnis besucht. Allein aufgrund einer Intervention des Abgeordneten Ömer Faruk Gergerlioğlu von der oppositionellen DEM-Partei konnte die Mutter an der Begräbniszeremonie teilnehmen.

In einem Post auf X verurteilte Gergerlioğlu den Umgang mit den Betroffenen und schrieb: „Sie zerstörten eine weitere Familie und ließen sie in Schmerzen zurück. Fatma Sümeyra, die Tochter der Inhaftierten Melek Gelir, die mir aus Sehnsucht nach ihren Kindern einen Brief geschrieben und mit der ich gesprochen hatte, starb an einem epileptischen Anfall. Wer oder was hat sie krank gemacht? Diejenigen, die sie von ihrer Mutter fernhielten. Was seid ihr nur für Menschen?“

Mehr als 100 verdächtige Todesfälle inhaftierter Gülen-Anhänger

Es ist nicht die erste Tragödie, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Hexenjagd der türkischen Regierung gegen die Hizmet-Bewegung steht. Allein in den ersten beiden Jahren nach dem Putschversuch in der Türkei am 15. Juli 2016 hat das Stockholm Center for Freedom (SCF) mehr als 107 verdächtige Todesfälle und vermeintliche Selbstmorde unter Gefangenen dokumentiert.

Zahlreiche Menschen starben in den Wochen nach dem Putsch in einem Klima nationalistischer und religiöser Aufwallung der Öffentlichkeit. Ein besonders skandalöses Beispiel ist jenes des Lehrers Gökhan Açıkkollu. Der Lehrer wurde am 24. Juli 2016 unter fadenscheinigen Anschuldigungen festgenommen.

Ihm wurde vorgeworfen, der Gülen-Bewegung anzugehören. Er sei verdächtig, den Putsch mitgeplant zu haben und einer terroristischen Vereinigung anzugehören. Beweise wurden nie präsentiert, es gab nicht einmal eine formale Beschuldigtenvernehmung. Nach 13 Tagen in Polizeigewahrsam starb Açıkkollu offiziell an einer Herzattacke. Vor seiner Verhaftung wurden jedoch zu keiner Zeit Herzprobleme bei ihm diagnostiziert. Hingegen wies der Leichnam eindeutige Folterspuren auf.

Wiedereinstellungsurkunde für toten Lehrer zugestellt

In Istanbul wurde den Angehörigen mitgeteilt, dass eine Beerdigung lediglich auf einem „Friedhof der Verräter“ erfolgen könne, den die dortige Stadtverwaltung geschaffen hatte. Imame der Diyanet verweigerten die Abhaltung der üblichen religiösen Zeremonie. Am Ende musste die Familie selbst in dessen Heimatstadt überführen. Auch dort verweigerte der örtliche Imam allerdings das Totengebet.

Am 7. Februar 2018 wurde der – nach dem Putschversuch aus dem Staatsdienst entlassenen – Ehefrau von Açıkkolu ein Dokument des türkischen Bildungsministeriums vom Direktor der Schule zugestellt, in der er gearbeitet hatte. In dieser Entscheidung wurde die Wiedereinstellung des bereits verstorbenen Lehrers verfügt. Alle gegen ihn erhobenen Anschuldigungen hatten die zuständigen Behörden zuvor fallen gelassen.

Gülen-Bewegung bleibt Sündenbock

Die Zahl der Menschen, die in der Türkei nach dem Putschversuch von 2016 aus dem Staatsdienst entlassen wurden, beträgt deutlich mehr als 200.000. Ende 2017 meldete das türkische Innenministerium, dass mehr als 55.000 Menschen unter Vorwürfen, der Gülen-Bewegung anzugehören, inhaftiert worden seien. Dem Justizministerium zufolge hatten Ermittlungsbehörden in diesem Kontext bereits zum damaligen Zeitpunkt fast 170.000 Strafverfahren geführt.

In internen Gesprächen äußerte der damalige Innenminister Süleyman Soylu, die Zahl der tatsächlich Inhaftierten sei „dreimal höher“ als die offiziellen Zahlen. Der Verfolgungsdruck auf vermeintliche oder tatsächliche Angehörige der Gülen-Bewegung hat seither nicht abgenommen. Belastbare Beweise dafür, dass Hizmet, wie sich die Bewegung selbst nennt, in den Putschversuch von Militärkreisen involviert war, gibt es nicht. Ausländische Geheimdienste bezweifeln dies ebenfalls.

Allerdings dient die Bewegung der türkischen Regierung seit Ende 2013 als Universal-Sündenbock. Damals fiel diese in Ungnade, als Staatsanwälte wegen Korruptionsvorwürfen im Umfeld der Regierung zu ermitteln begannen. Menschen, die ihr angehören sollen, werden regelmäßig unter fadenscheinigen Gründen entlassen, festgenommen oder vor Gericht gestellt. In vielen Fällen werden sie unter unmenschlichen Bedingungen in Haftanstalten festgehalten – häufig sind sogar Mütter mit minderjährigen Kindern betroffen.

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