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Mehr als fünf erfasste antimuslimische Vorfälle – pro Tag

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Ein Muslim verrichtet in einer Moschee das tägliche Gebet. Foto: Francisco Seco/AP/dpa
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Antimuslimische Übergriffe stiegen im Jahr 2023 dramatisch. Das hat der Lagebericht der Initiative CLAIM, einer Allianz verschiedener Akteure gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit, ergeben. Verbale Angriffe dominieren, doch es gibt auch andere.

Verbale und körperliche Angriffe, Diskriminierung oder Sachbeschädigung: Die Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit hat im vergangenen Jahr 1926 antimuslimische Vorfälle erfasst. Durchschnittlich hätten sich damit täglich mehr als fünf solcher Vorfälle ereignet, heißt es in einem am Montag in Berlin und damit wenige Tage vor dem bundesweiten Tag gegen antimuslimischen Rassismus (1. Juli) vorgestellten zivilgesellschaftlichen Lagebild der Allianz Claim, die vom Bundesfamilienministerium gefördert wird. Muslimfeindliche Äußerungen im Internet fließen in das Lagebild nicht ein.

Im Vergleich zum vorherigen Jahr mit 898 dokumentierten Vorfällen erfasste die Allianz demnach 2023 mehr als doppelt so viele Fälle, wobei sich die Datengrundlage verändert hat: Sowohl 2022 als auch 2023 flossen den jeweiligen Berichten zufolge bundesweite Meldungen über das Portal „I-Report“, die Statistik für politisch motivierte Gewalt und Polizei- und Pressemeldungen in die Lagebilder ein. 2023 kamen den Angaben nach Fallzahlen von 17 Melde- und Beratungsstellen aus 13 Bundesländern hinzu. Ein Jahr zuvor waren es demzufolge noch 10 Melde- und Beratungsstellen aus 7 Bundesländern. Grundsätzlich geht die Allianz von einer hohen Dunkelziffer antimuslimischer Vorfälle aus.

„Der Nährboden für Rassismus ist sehr viel größer geworden“, bilanzierte die Leiterin der Allianz, Rima Hanano. „Antimuslimischer Rassismus ist heute salonfähiger denn je und er kommt wirklich aus der Mitte der Gesellschaft“, betonte sie.

Was für Angriffe es gibt und wo sie vorkommen

Rund zwei Drittel der 2023 dokumentierten Fälle machten demnach verbale Angriffe aus. Dazu gehören Volksverhetzung und Beleidigungen, etwa Drohschreiben an Restaurants oder Imbisse, deren Inhaber als muslimisch wahrgenommen wurden. Insgesamt seien 90 Angriffe auf solche Orte und auf religiöse Einrichtungen erfasst worden. Neben 1277 verbalen Angriffen umfasst das Lagebild 363 Fälle von Diskriminierung und 286 Fälle von „verletzendem Verhalten“. In letztere Kategorie fallen 178 Körperverletzungen, 4 versuchte Tötungen, 93 Sachbeschädigungen, 5 Brandstiftungen und 6 weitere Gewalttaten.

Antimuslimischer Rassismus ziehe sich durch alle Lebensbereiche – von der Wohnungssuche über den Arztbesuch bis hin zur Schule. „Ein großer Teil der dokumentierten Vorfälle trifft vor allem muslimische Frauen und findet im Bildungsbereich sowie im öffentlichen Raum statt“, teilte die Allianz mit. Körperliche und verbale Angriffe richten sich demnach auch gegen Kinder. Insbesondere seit dem terroristischen Angriff der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 habe man einen sprunghaften Anstieg antimuslimischer Vorfälle festgestellt.

Wie Politik und Polizei auf das Lagebild reagieren

Bundesfamilienministerin Lisa Paus bezeichnete die Zunahme von antimuslimischen wie auch antisemitischen Vorfällen als dramatisch. „Um Rassismus in unserer Gesellschaft einzudämmen, ist Präventionsarbeit von klein auf – also insbesondere bei Kindern und Jugendlichen – unerlässlich“, betonte die Grünen-Politikerin. Aus Sicht des Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke, ist es zentral, das Dunkelfeld schnellstmöglich zu erhellen. Dafür sei der Ausbau von Online-Anzeigen erforderlich. „Die muslimische Community muss und kann mehr Vertrauen in die Staatsanwaltschaften und die Polizei legen. Dort nimmt man die von ihnen angezeigten Fälle sehr ernst“, sagte der GdP-Chef.

Nach dem erschütternden Lagebericht der Allianz Claim kam am Dienstag noch eine andere Statistik hinzu: Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes meldet mit 10.772 Beratungsanfragen ebenfalls einen Höchststand. Darunter können auch Erfahrungen von Antisemitismus sein, aber auch von Rassismus oder anderen Fällen von Diskriminierung. Rassismus äußere sich offener, direkter und härter, sagte die Bundesbeauftragte Ferda Ataman. „Eine ‚Ausländer-Raus‘-Stimmung und zunehmende Menschenverachtung beobachten wir nicht nur beim Feiern auf Sylt oder auf Volksfesten.“

„Wir müssen Allianzen bilden“

Migranten, Menschen mit Behinderung und queere Menschen erlebten sie ganz konkret in ihrem Alltag. Ausgrenzungen gegen Minderheiten, gehört das alles zusammen in dieser aufgewühlten Gesellschaft? Oder wird hier etwas unzulässig vermengt oder gar relativiert in einem Land, das historisch vor allem den millionenfachen Mord an Juden zu verantworten hat?

Felix Klein, Antisemitismus-Beauftragter der Bundesregierung, beantwortete die an ihn gerichtete Frage am Dienstag so: „Es ist natürlich nicht hinnehmbar, wenn antimuslimischer Rassismus auftritt, die Zahlen sind auch nach oben gegangen. Das Schlechteste, was passieren könnte, ist, dass der Kampf gegen die eine Diskriminierungsform nun ausgespielt würde gegen die anderen. Wir müssen Allianzen bilden, und ich bin sehr froh, dass das innerhalb der Bundesregierung gut gelingt.“

dpa/dtj