Meloni-Lob für Flüchtlingspolitik bringt Erdoğan in Erklärungsnot

In der Vorwoche war der türkische Staatschef Erdoğan zu Besuch bei der italienischen Regierungschefin in Rom. Deren überschwängliches Lob für die türkische Flüchtlingspolitik erschüttert nun das humanitäre Narrativ der Regierung in Ankara.
Vergangenen Dienstag besuchte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Giorgia Meloni in Rom. Neben möglichen neuen Handels- und Verteidigungsabkommen besprachen die beiden Regierungsspitzen auch Fragen rund um Sicherheit und Migration.
Wie türkische Medien berichteten, hat Meloni im Rahmen einer daran anschließenden Pressekonferenz Erdoğan ein Lob für sein Vorgehen in der Flüchtlingspolitik ausgesprochen. Der Regierung in Ankara sei es gelungen, die Migration aus dem Land auf „null“ zu reduzieren. Der Rückgang der Migration sei ein Erfolg gemeinsamer Bemühungen. Die italienische Premierministerin spielte damit auf die Umsetzung des Flüchtlingsdeals ab, den die EU 2016 unter dem Eindruck der Migrationsbewegungen aus Syrien und dem Irak mit Erdoğan abschloss.
Vergiftetes Lob von weit rechter Politikerin Meloni?
Dass eine Politikerin wie Meloni den türkischen Präsidenten lobt, ist durchaus ungewöhnlich. Sie führt die rechtsgerichtete Partei „Fratelli d’Italia“ an, deren politische Wurzeln im neofaschistischen MSI liegen. Meloni hatte stets mit Forderungen nach einer besonders rigiden Einwanderungspolitik Wahlkampf betrieben. Sie hatte noch vor wenigen Jahren die rechtsextreme Verschwörungstheorie vom „Großen Austausch“ vertreten. Die Forderung nach einer Schließung der Grenzen hatte sie unter anderem mit der Verhinderung einer angeblichen „Islamisierung“ begründet.
In der türkischen Opposition löste das Lob Melonis Irritationen aus. Zwar übte sie keine direkte Kritik an der restriktiven Migrationspolitik, für die Meloni eintritt. Immerhin hatten ja auch die Republikanische Volkspartei (CHP) und deren Verbündete im Präsidentenwahlkampf 2023 massiv gegen syrische Geflüchtete Stimmung gemacht.
Allerdings sahen sie die Äußerungen der italienischen Regierungschefin als Beweis dafür, dass Europa die Türkei als Pufferzone gegen Flüchtlingsbewegungen betrachte – und Erdoğan das Land bereitwillig dafür zur Verfügung stelle. İlhan Üzgel, außenpolitischer Sprecher der CHP und Abgeordneter für Bursa, nannte die Aussage Melonis eine „nationale Demütigung“.
CHP: Erdoğan hat Türkei „für die EU in ein Flüchtlingslager verwandelt“
Meloni habe sich bei Erdoğan de facto dafür bedankt, dass dieser „sein Land in ein Flüchtlingslager verwandelt“ habe. Die Türkei „verdient es nicht, so behandelt zu werden“. Der Abgeordnete der IYI-Partei für Balıkesir, Turhan Çömez, erinnerte an Äußerungen von Erdoğans früherem Premier Binali Yıldırım. Auch dieser hatte einst erklärt, die Türkei schütze Europa vor „Massenmigration“.
Im Gegenzug bezahle die EU mehrere Milliarden Euro an Ankara und werde die Visapflicht für türkische Staatsangehörige aufheben. Dies ist bis heute nicht passiert. Erdoğan räumte ein, dass die fehlende Umsetzung dieses Punkts der Vereinbarung die Wirtschaftsbeziehungen belaste. Näher ist er dem Ziel jedoch auch nicht gekommen.
Während Erdoğan die türkische Flüchtlingspolitik stets als human und strategisch dargestellt hat, wirft die Opposition ihm vor, die nationale Würde im Austausch für Finanzgeschäfte mit Europa zu opfern.
Amnesty wirft Türkei willkürliche Abschiebungen vor
Am humanitären Charakter der türkischen Flüchtlingspolitik wachsen ebenfalls die Zweifel. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International spricht von willkürlichen Abschiebungen ohne Prozess. Die Zahl der Geflüchteten aus Syrien und dem Irak ist in der Türkei mittlerweile auf weniger als 3 Millionen zurückgegangen. Daneben befinden sich in der Türkei aber auch Schutzsuchende aus Afghanistan und anderen Krisengebieten.