Möllner Briefe: Film erinnert an Mord an Türken vor 33 Jahren und dem Rassismus danach

Nach der Premiere in Hamburg wurde die Dokumentation „Möllner Briefe“ nun auch in Köln im Cinenova Ehrenfeld gezeigt. Der Film widmet sich der Erinnerungskultur rund um die tödlichen rassistischen Brandanschläge von Mölln im November 1992. Damals starben drei Menschen: die Großmutter Bahide Arslan, ihre Enkelin Yeliz Arslan und ihre Nichte Ayşe Yılmaz. Doch es blieb nicht bei dem Anschlag.
Im Zentrum des Films stehen die Geschwister Ibrahim, Namık und Yeliz Arslan, deren Leben bis heute von jener Brandnacht geprägt ist. Ibrahim war sieben Jahre alt, als das Feuer ausbrach. Er erinnert sich an jede Einzelheit – an seine Schwester Yeliz, die er verlor, und an die Todesangst und den Schrecken jener Nacht. Diese Erinnerungen trägt er wie eine offene Wunde, die nie verheilt ist. Namık war damals erst acht Monate alt. Nur durch einen verzweifelten Wurf aus dem Fenster konnte er gerettet werden. Das Überleben war ein Zufall – die Last, die es mit sich brachte, begleitet ihn bis heute in Form von inneren Kämpfen und tiefen Narben.
Yeliz‘ Erinnerung lebt weiter – dank ihrer Schwester
Die jüngste Schwester, Yeliz, trägt den Namen ihrer verstorbenen Schwester, die sie nie kennenlernen durfte. Ihr Name ist zugleich Brücke und Bürde: eine Verbindung zur Vergangenheit, die sie mit Stolz trägt, aber auch ein Gewicht, weil sie immer in der Erinnerung an jene ältere Schwester gesehen wird.
So wird deutlich: Das Trauma hat sich in die Biografie aller Geschwister eingebrannt– auf je eigene, schmerzhafte Weise.
Briefe, die nie ankamen
Der Film erzählt nicht nur von Verlust, sondern auch von Solidarität – einer Solidarität, die den Familien vorenthalten wurde. Tausende Menschen aus ganz Deutschland schrieben nach dem Anschlag nämlich Briefe: Kinder, die ihr Mitgefühl ausdrücken wollten, ältere Menschen, die tröstende Worte fanden, Fremde, die Anteilnahme zeigten.
Doch all diese Zeichen und Zeilen der Nähe und Unterstützung verschwanden in den Schubladen der Behörden. Jahrzehntelang erhielten die Familien keinen Zugang zu diesen Briefen, die ihnen damals vielleicht Kraft gegeben hätten. Stattdessen wurden sie verdächtigt, kriminalisiert und im Stich gelassen. Der Rassismus, er hielt auch nach dem Anschlag an.
Selbstbestimmte Erinnerung nach Enttäuschung über die Behörden
Die Dokumentation macht deutlich, wie sehr sich die Familien von den Behörden verraten fühlen. Für sie sind die offiziellen Jahrestage, die bürokratisch inszenierten Gedenkfeiern, längst nicht mehr glaubwürdig. Sie wollen ihre Erinnerung selbst gestalten – frei von staatlicher Kontrolle, getragen von ihrer eigenen Stimme und in Zusammenarbeit mit den Menschen, die ihnen von Anfang an beistanden.
Auf der Kölner Premiere sprach auch Josefine Paul, Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes NRW. Sie mahnte: Gerade in Zeiten, in denen rechte Kräfte wieder stärker werden, sei die Botschaft der Dokumentation unverzichtbar. „Die Briefe zeigen, wie groß Solidarität und Menschlichkeit in unserer Gesellschaft sind – und wie falsch es war, sie damals verschwinden zu lassen“, sagte sie.
Die „Möllner Briefe“ als Teil einer neuen Erinnerungskultur
Unterstützt wird das Projekt vom DOMiD – Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland. Geschäftsführer Dr. Robert Fuchs betonte die Bedeutung des Films für eine offene Gesellschaft und verwies auf ein zentrales Zukunftsprojekt: das entstehende Museum Selma, das 2029 in Köln eröffnen soll.
Im Museum Selma sollen die „Möllner Briefe“ erstmals vollständig öffentlich gezeigt werden. Das Haus versteht sich als Ort, an dem die Geschichte Deutschlands neu erzählt wird – aus der Perspektive der Einwanderungsgesellschaft. „Egal, wer du bist und wo du dich zu Hause fühlst: Das Museum Selma ist für dich“, heißt es auf der Website.
Die Dokumentation „Möllner Briefe“ macht sichtbar, was lange unsichtbar blieb: die Stimmen der Opfer, die Erinnerung der Familien, die verwehrte Solidarität. Sie fordert eine Gesellschaft heraus, die noch immer lernen muss, wie Erinnerungskultur aussehen kann – nicht über, sondern mit den Betroffenen.