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Perinçek fordert Ende der Sippenhaft für Gülen-Anhänger – doch rechtfertigt Säuberungen

  • Mai 14, 2025
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Perinçek fordert Ende der Sippenhaft für Gülen-Anhänger – doch rechtfertigt Säuberungen

Doğu Perinçek hat sich überraschend erneut gegen die Kollektivbestrafung von Familienmitgliedern mutmaßlicher Gülen-Anhänger aus – doch gleichzeitig verteidigt er weiterhin die systematischen Säuberungen und die autoritäre Staatsräson in der Türkei.

Der ultranationalistische Politiker Doğu Perinçek hat sich für ein Ende der Sippenhaftung ausgesprochen, der Angehörige von Anhängern der Gülen-Bewegung in der Türkei ausgesetzt sind. Stattdessen solle ein Weg gefunden werden, sie wieder als gleichberechtigte Mitglieder in die Gesellschaft einzugliedern. In einem Interview mit dem Sender KHK TV bezeichnete der Hardcore-Kemalist den Propheten Muhammad und den türkischen Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk zudem als Vorbilder.

Perinçek rechtfertigt weiterhin Vorgehen gegen Gülen-Bewegung

Bei KHK TV handelt es sich um einen Sender, der von Opfern der Notstandsdekrete gegründet wurde, die in der Türkei nach dem Putschversuch von 2016 in Kraft traten. Perinçek, der selbst im Zuge des Ergenekon-Verfahrens von 2008 bis 2014 im Gefängnis saß, hatte bereits nach seiner Entlassung gefordert, den Staat „mit dem Schwert zu reinigen“.

Im Gespräch mit dem Sender stellte er sich auf diese Weise als einen der Stichwortgeber für die weitreichenden Säuberungsaktionen gegen Bestrebungen dar, die er als „Sekten und Geheimbünde“ bezeichnet. Er rechtfertigte dabei auch das Vorgehen gegen die Gülen-Bewegung. Im Unterschied zu Vereinigungen, die später ins Visier der Regierung gerieten – wie die Adnan-Oktar-Vereinigung, die Furkan-Bewegung und sogar die sogenannten Süleymancılar – habe diese Strukturen im Staat gebildet.

Perinçek sprach von 24.000 Offizieren, die aus der Armee, und 30.000 Beamte, die aus dem Polizeidienst entlassen worden seien. Tatsächlich war die Zahl der Opfer von Säuberungen im Staatsapparat deutlich höher. Perinçek nahm auch für sich in Anspruch, dass sein Sohn, der Historiker Mehmet Perinçek, eine entscheidende Rolle beim Verbot Gülen-inspirierter Privatschulen in der Russischen Föderation gespielt habe. Der „Eurasier“ Perinçek und seine Mitstreiter treten für eine Loslösung der Türkei von der NATO und für ein Bündnis mit Russland und China ein.

Türkei soll Kinder vermeintlicher Staatsfeinde zurückgewinnen

Allerdings räumte er ein, dass auch Personen unter den Notstandsdekreten leiden mussten, denen man keinen Vorwurf im Zusammenhang mit dem Putschgeschehen machen konnte. Dies habe bereits bei einfachen Soldaten angefangen, die am 15. Juli 2016 im Glauben handelten, Befehle zu befolgen. Perinçek erklärte, dass lediglich die Befehlshaber zur Verantwortung zu ziehen gewesen wären.

Vor allem sei es aber falsch, Kinder von Personen, die wegen Verbrechen gegen den Staat verurteilt worden seien, ohne Perspektive zu lassen. Der Staat müsse versuchen, diese für sich zu gewinnen, äußerte Perinçek. Er nannte als Vorbild dafür zum einen den Propheten Muhammed. Dieser habe dem Mörder seines Onkels verziehen – dieser wurde später selbst zu einem Feldherrn der Muslime. Außerdem habe er die Kinder der Polytheisten von Mekka zu Gouverneuren ernannt.

Außerdem habe auch Mustafa Kemal Atatürk den Sohn von Ali Kemal zum Botschafter ernannt. Ali Kemal war ein wortgewaltiger Gegner der Jungtürken und galt als anglophiler Anhänger der britischen Besatzungsmacht. Im Jahr 1922 wurde er auf Geheiß von Nureddin Pascha gelyncht und sein Leichnam öffentlich zur Schau gestellt. Allerdings hatten Mustafa Kemal und dessen Weggefährte Ismet Inönü das Vorgehen missbilligt.

Perinçek – bei Wahlen unbedeutend, als Ideologe jedoch einflussreich

Mustafa Kemal, der 1934 den Ehrennamen „Atatürk“ verliehen bekam, und Inönü befürworteten die Aufnahme des dafür qualifizierten Sohnes Ali Kemals, Zeki Kuneralp, in den diplomatischen Dienst. Er wurde Botschafter in Madrid. Pikanterie: Kuneralps Ehefrau und sein Schwager wurden 1978 bei einem Anschlag armenischer Extremisten ermordet, er selbst überlebte knapp. Sein Vater – der Urgroßvater des späteren britischen Premiers Boris Johnson – hatte in der Endphase des Osmanischen Reiches die von manchen Staaten als „Völkermord“ eingestuften Massakern begleitete Massenvertreibung von Armeniern in den Jahren 1915 und 1916 scharf verurteilt.

Perinçek selbst trat in dem Interview auch Gerüchten entgegen, er selbst sei ein britischer Agent. Dieses stellt eine von zahlreichen Verschwörungstheorien dar, die über die Jahrzehnte hinweg Eingang in den politischen und medialen Diskurs der Türkei gefunden hatten. Der Führer der „Vaterlandspartei“ (Vatan Partisi) bezeichnete sich in dem Interview selbst als „Maoist“ und als Muslim.

Perinçek kündigte an, in der Türkei werde die „neoliberale Politik“, die seit Turgut Özal betrieben werde, bald enden. Als Wahlplattform ist seine Partei bedeutungslos. Allerdings werden seine Vorstellungen in nationalistischen Kreisen der Türkei diskutiert. Auch im Beraterumfeld des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gibt es vereinzelte Anhänger der Ideen Perinçeks – etwa den seit 2013 dort tätigen Yiğit Bulut. Mit einem Nachlassen des Verfolgungsdrucks auf vermeintliche oder tatsächliche Angehörige der Gülen-Bewegung ist trotz der nunmehrigen Aussagen Perinçeks nicht zu rechnen.

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