Türkei: Doku stellt offizielle Erzählung zum 15. Juli infrage – Schwere Vorwürfe gegen Hulusi Akar

Neun Jahre nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei sorgt eine neue Dokumentation für Aufsehen. Der Film „Spoiler – der Epaulettenvorhang“ stellt die offizielle Erzählung auf den Kopf. Im Zentrum steht die brisante Aussage eines geflohenen Generals: Hulusi Akar soll selbst tief in die Putschpläne verstrickt gewesen sein.
Vergangenen Donnerstag feierte ein mit Spannung erwarteter Dokumentarfilm seine Premiere. Die Produktion „Spoiler – der Epaulettenvorhang“ wollte rechtzeitig im Vorfeld des neunten Jahrestages des gescheiterten Putschversuches die damit verbundenen Rätsel lösen.
Um Licht ins Dunkel der die Türkei noch heute traumatisierenden Putschnacht zu bringen, befragte das Produktionsteam hinter der Doku Schlüsselfiguren aus Militär und Geheimdienst. Unter anderem sprachen sie mit engen Mitarbeitern des damaligen Luftwaffengenerals Akın Öztürk, den die türkische Regierung zum „Drahtzieher“ der Ereignisse vom 15. Juli 2016 erklärte.
Freispruch für Gülen: Machtkampf um Syrien-Intervention als eigentlicher Auslöser
Eine Bombe platzen ließ dabei der unter anderem nach Deutschland geflüchtete Brigadegeneral Mehmet Yalınalp. Er behauptet in der Doku, dass niemand Geringerer als der damalige Generalstabschef Hulusi Akar selbst in die Planung des Putsches involviert gewesen sein soll. Yalınalps Darstellung widerspricht damit auch dem schon in der Putschnacht feststehenden Regierungsnarrativ, die Gülen-Bewegung stehe hinter dem versuchten Staatsstreich.
Die Angaben Yalınalps wurden von den übrigen befragten Militärs im Kern bestätigt. Demnach haben die religiösen Anhänger des im Vorjahr im US-Exil verstorbenen Fethullah Gülen weder mit der Planung noch mit dem Motiv etwas zu tun gehabt. Die Bewegung fand in der gesamten Dokumentation nur beiläufig Erwähnung.
Vielmehr sei der Putschversuch ein Machtkampf unter Anhängern der alten kemalistischen Eliten und der Regierung gewesen. Entzündet habe er sich vor allem an der Frage einer möglichen militärischen Intervention in Syrien. Es habe aus der Regierung und aus der AKP massiven Druck auf das Militär gegeben, sich auf ein Eingreifen in den syrischen Bürgerkrieg vorzubereiten.
Hulusi Akar soll gefordert haben, „zurück ins Jahr 1980“ zu gehen
Akın Öztürk, den die befragten Soldaten als herausragenden Vorgesetzten schilderten, habe sich einem solchen Abenteuer vehement entgegengestellt. Außerdem habe er Interventionsversuchen der AKP widersprochen, die darauf abzielten, bestimmte Personen zu entlassen. Stattdessen habe er auf formellen Anordnungen und Begründungen bestanden. Damit habe er sich mächtige Feinde gemacht.
Die Planungen für den Staatsstreich hätten dabei auch gezielt auf die eigenen Putschtraditionen Bezug genommen. Es sei Hulusi Akar selbst gewesen, so Yalınalp, der Generälen eröffnet habe, die Regierung in Ankara wolle die Türkei „in die Zeit vor 1919 zurückführen“. Um das zu verhindern, so äußerte er weiter, müsse man „zurück ins Jahr 1980 gehen“. Die Botschaft dahinter sei eindeutig gewesen: Damals hatte das Militär in einem blutigen Putsch die Macht im Staat an sich gerissen.
Dass die Armeeteile, die in den Putschversuch involviert waren, stramm kemalistisch waren, hatte am Ende auch Öztürk selbst bestätigt. Er machte deutlich, die Gülen-Bewegung stets bekämpft zu haben. Tatsächlich fiel seine militärische Karriere in eine Zeit, in der religiöse Menschen keinerlei realistische Chance auf eine solche gehabt hätten.
Angeblicher Drahtzieher des Putsches im Erfolgsfall nur mit Stellvertreterrolle?
Der Aufhänger, mittels dessen Öztürks angebliche Gülen-Nähe konstruiert wurde, war im Wesentlichen, dass er zu jenen Militärs gehörte, die in der Zeit der Ergenekon-Prozesse unbehelligt blieben. Zudem hatte er davon profitiert, dass einige seiner Vorgesetzten in dem von 2007 bis 2013 dauernden Prozess angeklagt wurden. Dies ermöglichte ihm einen Aufstieg – und schuf gleichzeitig bei den Betroffenen einen Grund, sich später an ihm zu rächen.
In der Dokumentation belasteten mehrere weitere Befragte den 1973 in die Armee eingetreten Akar. Dieser sei nicht nur die treibende Kraft hinter den Putschplanungen gewesen, die auch eine hohe Anzahl an zivilen Todesopfern in Kauf genommen hätten. Akar habe, als sich ein Scheitern des Putsches angedeutet habe, Öztürk auch gezielt als Sündenbock opfern wollen.
Vieles habe auch in der Putschplanung selbst gegen eine führende Rolle Öztürks gesprochen – insbesondere der Umstand, dass sein Name als angeblicher „Drahtzieher“ nicht als Führer des „Friedensrates“ der Putschisten vorgesehen war. Üblicherweise hatten bei vergangenen Staatsstreichen die dafür verantwortlich zeichnenden Militärs auch immer selbst die Regierungsgeschäfte übernommen.
UN-Gremium bezeichnete Inhaftierung von Öztürk als willkürlich
In der Erzählung der Regierung wird Akar hingegen als Held dargestellt. Er habe sich geweigert, die vorbereitete Putscherklärung zu unterzeichnen, hieß es – und sei dafür mit einem Gürtel gewürgt worden. Später stieg er zum Verteidigungsminister auf. Allerdings wurde er schon nach einer Amtsperiode durch Yaşar Güler ersetzt. Zuvor wurde er in regierungsnahen türkischen Medien als möglicher Erdoğan-Nachfolger in Stellung gebracht. Nun ist seine politische Karriere vorerst zu Ende.
Nach dem Putschversuch in der Türkei 2016 wurde Öztürk verhaftet und am 20. Juni 2019 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Im Vorjahr erklärte die Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierung des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen seine Inhaftierung für willkürlich und forderte seine Freilassung.