Politik
Warum die russische Mafia in der Türkei aktiv ist

Neue Routen, neue Ziele, neue Rückzugsorte: Der Ukraine-Krieg hat erhebliche Auswirkungen auf die Strukturen der russischen Mafia. Ein Kenner der Szene zeigt nun, dass die Türkei dabei eine wichtige Rolle spielen könnte – und warnt Regierung.
Glaubt man den Worten von Mark Galeotti, etabliert sich die russische Mafia zusehends in der Türkei. Der Historiker beschreibt in seinem jüngsten Bericht „Time of Troubles“ die drastischen Veränderungen innerhalb der russischen Unterwelt seit dem Beginn des Ukraine-Krieges. Mit Ausbruch des Konflikts hätten sich die Schmuggelrouten grundlegend gewandelt.
Bereits die Annexion der Krim im Jahr 2014 und die Konflikte in der Donbass-Region hätten dazu geführt, dass die russische Unterwelt eine Neuausrichtung erfahren habe. Die beinahe vollständige Trennung zwischen ukrainischen und russischen kriminellen Gruppen hätte erhebliche negative Auswirkungen, insbesondere aufgrund ihrer Kontrolle über den grenzüberschreitenden Drogenhandel, wie in dem Bericht dargelegt wird.
Türkei als sicherer Hafen für russische Kriminelle
Der brisante, 72-seitige Report, der Anfang Dezember veröffentlicht wurde, beleuchtet auch die Rolle der Türkei im Kontext dieser kriminellen Umgestaltung. Er hebt hervor, dass kriminelle russische Organisationen das Land vermehrt als sicherer Hafen betrachten. Galeotti behauptet, dass diese Organisationen ihre Präsenz in der Türkei stärken. Insbesondere sei das Land zur Schlüsselstation der Drogenschmuggelroute von Lateinamerika nach Russland geworden.

Ein Webinar zum jüngsten Bericht von Galeotti. Quelle: Screenshot/Zoom
„Den türkischen Staat nicht verärgern“
Hierbei biete die Türkei den Akteuren äußerst günstige Möglichkeiten, wie Galeotti in einem Gespräch mit der türkischen Redaktion der Deutschen Welle erläutert. Der Experte identifiziert mehrere Gründe für die Wahl der Türkei als sicheren Hafen. Zum einen sei das Land für die Mafia äußerst gastfreundlich. Solange man nicht die Regierung verärgere, könne man den kriminellen Aktivitäten weitestgehend ungestört nachgehen.
Diese Erkenntnis basiere unter anderem auf direkten Gesprächen mit einem russischen Mafiachef. Nachweisen lässt sich das nicht. Zum anderen gibt es politische Gründe, die die Türkei so attraktiv machen. Die türkische Regierung verfolgt eine politisch neutrale Haltung und beteiligt sich nicht und wenn dann nur marginal an den Sanktionen gegen Russland.

Galeotti gilt als Kenner der russischen Mafiaszene. Mit seiner Expertise berät er die NATO und viele Regierungen. Foto: Wikipedia
Russisch-türkische Kriminalität reicht bis nach Deutschland
Allerdings berge das erhebliche Gefahren für die Türkei. Neben der Rolle als Zwischenstation in der Drogenroute habe sich dort eine Art „kriminelle Diaspora“ entwickelt. Im Bericht wird darauf hingewiesen, dass russische Programmierer in die Türkei strömen und ein Netzwerk an Cyberkriminellen aufbauen, um Daten aus Online-Marktplätzen zu stehlen. Die türkischen Akteure nutzten ihre Kontakte in Europa, insbesondere in Deutschland, um die gestohlenen Daten zu vermarkten.
Galeotti warnt die Türkei eindringlich davor, die Entwicklung zu unterschätzen. Das Problem nehme stetig zu, und es sei von entscheidender Bedeutung, zunächst die Korruption zu bekämpfen, bevor die Situation außer Kontrolle gerate. Die russische Mafia habe die Fähigkeit, ein weitreichendes Netzwerk aus Politikern, Richtern und Polizisten aufzubauen, was die Lösung des Problems erheblich erschweren würde.