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Panorama

Zwei Jahre nach den Beben: Deutlich mehr Menschen leben in Containern als vermutet

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Die Zelte des Türkischen Roten Halbmonds sind inzwischen verschwunden, dennoch leben viele Erdbeben-Opfer noch in Containern. Foto: Ahmed Deeb/dpa

Bei den verheerenden Erdbeben starben am 6. Februar 2023 und in den Folgetagen mehr als 50.000 Menschen allein in der Türkei. Auch zwei Jahre danach ist die Katastrophe noch lange nicht ausgestanden.

Zwei Jahre nach den zerstörerischen Erdbeben leben in der Türkei weiterhin 648.886 Menschen in Containern. Das teilte die türkische Katastrophenschutzbehörde Afad am Jahrestag der Beben mit. Zuvor war die Rede von 400.000 gewesen. Die Zahl bezieht sich auf in den Stadtzentren Untergebrachte. Menschen in der Region lebten mit regelmäßigen Strom- und Wasserausfällen und schlechten Hygienebedingungen, so die türkische Bauingenieurskammer.

Am 6. Februar 2023 erschütterte um 4:17 Uhr Ortszeit ein Beben der Stärke 7,7 den Südosten der Türkei und Nordsyrien. Um 13:24 Uhr folgte ein zweites Beben der Stärke 7,6. Insgesamt waren elf türkische Provinzen betroffen auf einer Fläche etwa so groß wie Griechenland. 53.737 Menschen starben laut offiziellen Zahlen, 107.213 wurden verletzt.

Rund 40.000 Gebäude stürzten ein und 220.000 wurden schwer beschädigt. „Die Erdbeben hatten die 2000-fache Kraft der Atombombe, die auf Hiroshima abgeworfen wurden“, teilte Afad mit. Auf 1.900 Baustellen arbeiten laut Regierungsangaben derzeit 182.000 Arbeiter. 200.000 Wohnungen oder Gewerbeeinheiten wurden bisher übergeben.

Kritik an Baugeschwindigkeit und Aufarbeitung

„Zwei Jahre nach den Erdbeben wurden nur 31 Prozent der versprochenen Wohnungen fertiggestellt“, sagte Sinem Kolgu von der Bauingenieurskammer. Einige empfinden das als zu wenig, andere kritisieren die Geschwindigkeit, mit der die Gebäude hochgezogen werden.

Um möglichst schnell zu bauen, würden Betonmischanlagen in die Nähe von Unterkünften gebaut und Menschen damit einer gesundheitsgefährdenden Staubbelastung ausgesetzt, hieß es von der Türkischen Ärztekammer. Andere fürchten, bei der Geschwindigkeit könnten Baumängel übersehen werden.

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Nicht einverstanden sind viele auch mit der juristischen Aufarbeitung der Katastrophe. Für die hohe Opferzahl machen Experten erhebliche Baumängel an den Gebäuden verantwortlich. Die Regierung geriet wegen fehlender Kontrolle in die Schusslinie. Bisher seien 149 Prozesse abgeschlossen und gegen 189 Angeklagte unterschiedliche Gefängnisstrafen und Urteile verhängt worden, berichtete die Nachrichtenagentur Anka unter Berufung auf das Justizministerium. Gegen 1.850 Angeklagte liefen noch Prozesse. Viele weitere seien auch nach zwei Jahren nicht aufgenommen worden, bemängeln Beobachter.

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Unterdessen warnen Experten davor, dass die Erde rund um die Millionenmetropole Istanbul bald beben könnte – mit voraussichtlich verheerenden Folgen. Die Erdbebenwarte Kandilli gibt die Wahrscheinlichkeit für ein Beben mit einer Stärke über 7 bis zum Jahr 2030 mit 60 Prozent an. Auf diese bevorstehenden Beben sei die Türkei weiterhin nicht vorbereitet, so das Urteil von Fachleuten. In Istanbul seien 100.000 Gebäude stark einsturzgefährdet, „es werden Hunderttausende umkommen“, sagte der Erdbebenforscher Naci Görür der Deutschen Presse-Agentur.

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Auch Geologieprofessor Şükrü Ersoy erklärte, dass viele Gebäude, die bei einem schweren Erdbeben einstürzen würden, bisher nicht aufgerüstet worden seien. Ebenso sagte selbst der türkische Städtebauminister Murat Kurum, große Teile Istanbuls würden einem Erdbeben nicht standhalten. In der Türkei ist derzeit vor allem an der Westküste die Sorge groß vor einem Erdbeben. Seit Tagen bebt die Erde unter der Ägäis, die Insel Santorini, wo der Notstand ausgerufen wurde, wurde bereits von vielen Inselbewohnern verlassen.

dpa/dtj