EURO2024
Schwerer Vorwurf gegen Montella: Mobbt der türkische Nationaltrainer Arda Güler?
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Die Chancen der Türkei, das EM-Achtelfinale zu erreichen, stehen trotz der Niederlage gegen Portugal sehr gut. Seit gestern wird das türkische Social Media allerdings von einer Szene aus dem Training der türkischen Nationalmannschaft beherrscht. In einem Video sieht man, wie die türkische Nachwuchshoffnung Arda Güler von Real Madrid von der Mannschaft getrennt und zum Individualtraining gezwungen wird. Ehemalige Fußballer, Mitspieler von Arda Güler, Politiker und der türkische Fußballverband haben inzwischen Stellung dazu bezogen.
Die Gruppenphase der Euro 2024 ist fast beendet, die Türkei steht nach dem Auftaktsieg gegen Georgien und der deutlichen Niederlage gegen Portugal mit drei Punkten auf Rang zwei. Ein Remis gegen Tschechien im abschließenden Match am Mittwoch würde bereits reichen, um sicher als Gruppenzweiter das Achtelfinale zu erreichen. Doch nicht nur die erschreckend schwache Leistung am Samstag beherrscht die Schlagzeilen, sondern auch der Umgang mit dem türkischen Riesentalent Arda Güler, der einer der Stars, wenn nicht der Star der Nationalmannschaft ist.
Bereits am Donnerstag sorgte Nationaltrainer Vincenzo Montella mit seinen ominösen Aussagen über die Einsatzfähigkeit und den Fitnesszustand von Güler für Aufsehen. Wie erwartet bzw. befürchtet saß der 19-Jährige gegen Portugal dann zunächst tatsächlich auf der Bank. Erst in der 70. Minute und als längst klar war, dass die Türkei als Verlierer vom Platz gehen würde, wurde er eingewechselt. Viele Experten und Fans echauffierten sich, warum Güler nicht begonnen hatte, da er nicht den Eindruck machte angeschlagen zu sein. Andere wunderten sich, warum Montella ihn einwechselte, da das Spiel eh schon gelaufen war.
Seit Sonntag aber hat die Diskussion um Güler ein neues Level erreicht. Grund dafür ist ein Video, das Viral geht und in dem zu sehen ist, wie Montella Güler vom Rest der Mannschaft trennt und ihn zum Laufen schickt. Diese Szene erhitzt nun die Gemüter. In wohl nur wenigen anderen Ländern wäre ein solcher Vorfall denkbar. Die Türkei ist aber seit Jahren stark politisiert, was sich in der vergangenen Saison auch in der türkischen Süper Lig gezeigt hat. Mehrere Skandale überschatteten die Saison, und dieser Trend setzt sich offenbar nun auch bei der Europameisterschaft fort.
Arda Güler überstrahlt die türkische Nationalmannschaft
Die Causa Arda Güler ist ein Top-Thema. Fans wie Experten möchten das Ausnahmetalent spielen sehen. Im Auftaktspiel bei der Europameisterschaft in Deutschland glänzte Güler mit einem Traumtor und einer beeindruckenden Gesamtleistung gegen Georgien. Sein Treffer wurde von internationalen Fußballgrößen bewundert und durch zahlreiche Medien zum besten Tor des 1. Gruppenspieltags gewählt.
Überraschenderweise stand Güler im zweiten Spiel nicht in der Startelf. Wie erwähnt, musste er sich gegen Portugal lange warmlaufen und kam erst rein, als die Partie längst entschieden war. Die türkischen Fans im Stadion des BVB hatten zuvor lautstark seinen Einsatz gefordert und ihn mit Sprechchören gefeiert. In der kurzen Spielzeit deutete er sein Können an und zeigte, welch großes Talent in ihm steckt. Die Niederlage konnte aber auch er nicht mehr abwenden.
Trainer Montella in der Kritik
Nach Abpfiff richtete sich die Kritik gegen den italienischen Trainer der Türkei, Vincenzo Montella. Montella, der zuvor Adana Demirspor trainierte, wurde im vergangenen Herbst als Nachfolger des deutschen Coaches Stefan Kuntz verpflichtet. Obwohl er die Türkei zur EM und einem Testspielsieg gegen Gastgeber Deutschland führte, war die Leistung des Teams unmittelbar vor dem Turnier schwach. Unter anderem gab es eine heftige 1:6-Pleite in Österreich.
Die abermals deutliche Niederlage gegen Portugal inklusive absurdem Eigentor sorgte trotz der weiterhin bestehenden Chancen auf das Weiterkommen für Unruhe. Die Entscheidung, Güler nicht einzusetzen, wurde stark kritisiert. Ein Video, das Güler beim isolierten Training zeigt, verstärkte die Kritik weiter. Reporter von A Haber interpretierten die Szene als Mobbing gegen das Top-Talent. An welchem Tag es aufgenommen wurde, ist nicht bekannt, wahrscheinlich aber unmittelbar vor der Begegnung gegen die Portugiesen.
„Geh du hier weg“
„Trainer Montella reißt Arda Güler das Leibchen aus der Hand und gibt es einem anderen. Zu Arda sagt Montella, ‚Geh du hier weg‘. Arda schaut sich das Geschehen von außen an, sichtlich irritiert“, so der Kommentar im Video.
Gerüchte über Mobbing verbreiteten sich schnell. Mannschaftskapitän Hakan Çalhanoglu stellte sich am Sonntag in einer Pressekonferenz hinter den Trainer und erklärte, dass Güler aufgrund einer im Training erlittenen Leistenverletzung nicht von Anfang an gespielt habe. Man habe das nicht nach außen kommuniziert.
Absurd: Politiker mischen sich ein
Das Video von A Haber, einem regierungsnahen Sender, löste eine Welle der Empörung aus. Fußballfans und Politiker meldeten sich zu Wort. Sinan Oğan, vergangenes Jahr Präsidentschaftskandidat, schrieb auf Twitter: „Mobbing gegen das türkische Supertalent im Training ist nicht akzeptabel“. Auch Metin Külünk von der AKP äußerte sich kritisch.
„Wir können nicht akzeptieren, dass ein italienischer Trainer den Stolz der Türkei und den funkelnden Stern Europas unter psychischen Druck setzt“, sagte Külünk und forderte den türkischen Fußballverband zu Konsequenzen auf. Der Verband reagierte prompt und erklärte, das Video sei manipulativ und aus dem Kontext gerissen. „Vaterlandstreue Menschen“ sollten sich nicht von dieser Manipulation blenden lassen.
Mustafa Sarıgül beleidigt Montella: „Kann nicht mal Hirte sein“
Dabei ist die politische Schelte aus nationalistischer Motivation heraus keinesfalls nur auf die AKP und den Grauen Wolf Oğan zurückzuführen. Der mit seinen Auftritten in Social Media berühmte säkulare Kemalist und ehemalige CHP-Politiker Mustafa Sarigül ließ ebenfalls kein gutes Haar am Nationaltrainer.
In einem Video sagt Sarigül, man dürfe die jungen Spieler nicht kritisieren, da sie von irgendeinem Italiener, der „Montella oder Mon- was weiß ich was, heißt, trainiert werden. Gott verfluche mich, wenn dieser Typ in Erzincan ein erfolgreicher Hirte sein könnte“.
Klar ist: Nach der anfänglich noch guten bis euphorischen Stimmung ist die Atmosphäre rund um die Nationalmannschaft gereizt. Die Nerven vor dem entscheidenden Duell gegen die Tschechen (Mittwoch, 21 Uhr) liegen blank. Eine gemeinsame Pressekonferenz von Montella und Güler und natürlich ein Weiterkommen könnten helfen, die Gemüter wieder etwas zu beruhigen – zumindest bis zum nächsten Aufreger.