Abschiebung in die Türkei: Deutscher Asylfall wirft Fragen zum Schutz von Gülen-Anhängern auf

Ein türkischer Asylsuchender wurde aus Deutschland in die Türkei abgeschoben. Kurz nach seiner Rückkehr in die Türkei wurde Nusret Taş wegen angeblicher Zugehörigkeit zur Gülen-Bewegung festgenommen. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf mögliche Risiken künftiger Asylentscheidungen deutscher Behörden.
Üblicherweise sind die deutschen Behörden gut über die Verfolgungssituation in der Türkei im Bilde. Dies war zumindest bisher die Regel. Die Nachricht über das Schicksal des 35-jährigen türkischen Staatsangehörigen Nusret Taş weckt nun jedoch Befürchtungen mit Blick auf künftige Asylsuchende.
Wie das Portal „Turkish Minute“ unter Berufung auf ihm zugegangene Dokumente berichtet, wurde Taş nach der Ablehnung seines Asylantrages in die Türkei abgeschoben. Dort nahmen ihn Behörden einen Tag später fest.
Vorwürfe wegen Verwendung von ByLock und Konto bei Bank Asya
Die türkischen Strafverfolgungsbehörden beschuldigten den 35-Jährigen der Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung. Die Anklage stützte sich auf Faktoren, die bereits zuvor zur Grundlage politisch motivierter Verfolgung für Zehntausende von Menschen in der Türkei erhoben wurden. Nusret Taş hatte den verschlüsselten Messenger ByLock auf seinem Smartphone heruntergeladen. In der Türkei gilt dieser – einst über App Store und Google Play erhältlicher – Messenger als exklusiv für die Gülen-Bewegung.
Dazu kam, dass Taş ein Konto bei der Bank Asya hatte. Dieses 1996 gegründete Bankhaus, das es 2009 in die Banker’s Top 500 Banking Brands geschafft hatte, geriet 2014 ebenfalls ins Visier der Regierung Erdoğan. Schon im Laufe des Jahres 2015 strebte diese eine Zwangsverwaltung an. Nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 wurde der Bank die Lizenz entzogen. Wer zu diesem Zeitpunkt noch ein Konto dort unterhielt, galt als Mitglied der „Fethullahistischen Terrororganisation“ (FETÖ), wie die Führung in Ankara die Gülen-Bewegung nennt.
In einem bahnbrechenden Urteil vom September 2023 machte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) deutlich, dass die bloße Verwendung von ByLock als solche kein Straftat darstellen könne. Weitere Straßburger Urteile bestätigten Gleiches für die Führung eines Kontos bei der Bank Asya. Türkische Behörden nutzten jedoch auch schon Abonnements der Zeitung „Zaman“ als Grundlage für einen angeblichen Terrorverdacht. Urteile des EGMR wie in Fall des früheren Lehrers Yüksel Yalçınkaya werden nach wie vor ignoriert.
Nach 2016 Kontakte zu Gülen-nahen Einrichtungen abgebrochen
Im Fall von Nusret Taş kamen Aussagen bereits inhaftierter Personen als belastende Elemente hinzu. Institutionen, die der Gülen-Bewegung zugerechnet werden, hatten finanzielle Transaktionen mit ihm gepflegt. Insgesamt 28.000 TL soll er von den Unternehmen erhalten haben. Im Jahr 2015 entsprach dies noch einer Summe von knapp 10.000 Euro.
Das lag vor allem daran, dass Taş als Aufsichtsperson im Schlafsaal einer Gülen-nahen Einrichtung in Ankara gearbeitet hatte. Diese wurde nach dem Putsch ebenfalls geschlossen. Nusret Taş hatte danach keine dokumentierten Beziehungen mehr zum Hizmet-Netzwerk.
In den Jahren 2016 bis 2018 war Taş als Buchhalter in der Privatwirtschaft tätig. Im Jahr 2019 flüchtete er mithilfe von Schleusern über den Fluss Evros nach Griechenland. Von dort zog er nach Deutschland weiter. Hier beantragte er Asyl. Nach mehr als einem Jahr in Notunterkünften ließ er sich in der Nähe von Frankfurt am Main nieder. Bis zu seiner Abschiebung arbeitete er auch dort als Buchhalter.
Reue-Klausel bewahrt Nusret Taş vor längerer Haftstrafe
Am Flughafen Istanbul nahmen ihn die Behörden unmittelbar fest und warfen ihm „Mitgliedschaft in einer bewaffneten Gruppe“ vor. Tatsächlich war die Gülen-Bewegung war zu keiner Zeit bewaffnet. Nusret Taş hatte Glück im Unglück. Da er nicht als „Führungskader“ der Bewegung galt, konnte er sich auf den Artikel 221 des Strafgesetzbuches berufen.
Diese sieht eine Strafmilderung im Fall einer „tätigen Reue“ vor. Im Gegenzug für eine solche Begünstigung erwarten die Behörden Auskünfte über die Bewegung und über andere Personen, die dieser mutmaßlich angehören. In einigen Fällen wurden Berichten zufolge Inhaftierte auch unter Folter zur Kooperation bewegt.
Auf Anordnung eines Richters in Ankara blieb der 35-Jährige für zwei Monate in Untersuchungshaft. Anschließend wurde er zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und ist mittlerweile auf freiem Fuß. Eine Stellungnahme zu dem Fall hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) noch nicht abgegeben. Die Verschärfungen in der Asylpolitik, die seit Monaten in Deutschland angekündigt werden, drohen den Schutz türkischer Geflüchteter vor willkürlichen Verfahren zu unterminieren.
„Asylwende“ auf Kosten politisch Verfolgter aus der Türkei?
Nach dem gescheiterten Putschversuch hatte die türkische Regierung den Ausnahmezustand ausgerufen. Wie bereits seit den Korruptionsermittlungen im Regierungsumfeld im Dezember 2013 erklärte die Regierung Erdoğan die Gülen-Bewegung zu einem Universal-Sündenbock für alle Unwägbarkeiten im Land.
Nach dem Putschversuch machte Ankara die Bewegung für diesen verantwortlich. Hizmet bestreitet jede Verbindung damit – und auch ausländische Nachrichtendienste halten die Konstruktion einer „FETÖ“ für nicht stichhaltig. Mehr als 130.000 Beamte sowie 24.706 Angehörige der Streitkräfte wurden wegen angeblicher Mitgliedschaft in oder Beziehungen zu „terroristischen Organisationen“ willkürlich ihres Amtes enthoben. Insgesamt richteten sich gegen mindestens 705.172 Personen Ermittlungen wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung.
Mindestens 13.251 Menschen verbüßen heute noch Haftstrafen oder sitzen in Untersuchungshaft. Allein zwischen Juni 2023 und Juni 2024 führten die türkischen Behörden insgesamt 5.543 Polizeieinsätze gegen behauptete Gülen-Anhänger durch. Dabei verhafteten sie 1.595 Personen.