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Gesellschaft

Der Fall Yusuf Kerim – und was er über die Türkei aussagt

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Ein junger Krebspatient, Yusuf Kerim, hat in der Türkei für Schlagzeilen gesorgt. Mit einer Petition und viel Aufmerksamkeit auf Social Media erfüllten Unterstützer ihm seinen womöglich letzten Wunsch: seine inhaftierte Mutter in den Arm zu nehmen.

Yusuf Kerim Sayın ist erst sechs Jahre alt. Wegen Krebs im Endstadium wird er an der medizinischen Fakultät Çapa in Istanbul behandelt. Jüngst bescheinigten ihm seine Ärzte eine Überlebenschance von 20 Prozent. Als wäre das alles nicht schlimm genug, musste der Junge sein Martyrium bislang ohne seine Mutter durchstehen.

Denn Gülten Sayın kann nicht an Yusufs Krankenbett sein. Sie sitzt im Gefängnis. Wegen „Mitgliedschaft in der FETÖ“ wurde sie zu sechs Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Nachdem das Urteil vom Kassationsgerichtshof bestätigt worden war, trat sie im Dezember ihre Haftstrafe an.

„Dafür sorgen, dass er seine letzten Tage in Frieden verbringt“

Damit war auch Yusufs Vater Süleyman Sayın in dieser schweren Zeit auf sich allein gestellt. Anfang Januar starteten Unterstützer:innen schließlich eine Petition auf der Plattform „change.org“. Darin heißt es: „Yusuf sehnt sich nach seiner Mutter. Es liegt an uns allen, dafür zu sorgen, dass Yusuf […] seine letzten Tage in Frieden verbringt.“

Die Petition war verbunden mit einer Aufforderung an das türkische Justizministerium, Gülten Sayın einen Aufschub ihrer Haft zu gewähren. Ein zigfach auf Social Media geteiltes Video von Yusuf, in dem er nach seiner Mutter ruft, erhöhte den Druck zusätzlich. Auch dank zehntausender Unterschriften hatte die Petition schließlich Erfolg.

„Gott segne alle, die Yusuf Kerim unterstützen“

Gülten Sayın wurde auf „unbestimmte“ Zeit beurlaubt. Yusuf konnte seine Mutter in die Arme schließen. Auch weil prominente Fürsprecher, wie der CHP-Vorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu und die Provinzvorsitzende der CHP Istanbul, Canan Kaftancıoğlu, sich für die Familie einsetzten.

Allerdings musste Vater Süleyman, während die Mutter zu Yusuf gebracht wurde, das Krankenhaus verlassen. Per Social Media teilte er mit: „Zuallererst, Gott segne alle, die Yusuf Kerim unterstützen, er ist jetzt bei seiner Mutter. Ich durfte nicht im Zimmer sein, das spielt jetzt aber keine Rolle, solange mein Yusuf glücklich ist.“

Seine Frau sei vom Sakarya-Ferizli-Gefängnis in das geschlossene Frauengefängnis Bakırköy in Istanbul verlegt worden. Indes steht die Dauer des Hafturlaubs von Gülten Sayın noch nicht fest. Der Fall zeigt: Wenn sich die Menschen in der Türkei gemeinsam für ein Ziel stark machen, können sie etwas bewirken.

Zivilgesellschaft in der Türkei bleibt lebendig

Trotz Twitter-Sperre, Repressionen und Verfolgung bleibt die Zivilgesellschaft in der Türkei lebendig. Ein ähnlicher Fall, der von Ahmet Burhan Ataç, machte 2021 die Runde. Der damals achtjährige Junge starb, nachdem seine Eltern inhaftiert wurden und eine Behandlung in Deutschland verzögert wurde.

Wenig später schaffte es eine Gewerkschaft mit einem Bild des Jungen, eine Blutspende-Aktion für Patient:innen der Onkologie-Abteilung der Erciyes-Universität in Kayseri zu initiieren. 2021 wurden auch die umstrittenen Leibesvisitationen in den Gefängnissen, die bis dahin auf der Tagesordnung standen, auf Druck der Opposition abgeschafft.

Im selben Jahr schaffte es Ayşe Özdoğan, deren Verurteilung wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ im Rahmen der Ermittlungen gegen die Gülen-Bewegung bestätigt wurde, aufgrund ihrer Krebserkrankung einen Aufschub ihrer Strafverbüßung zu erwirken.

Verbesserungen für Verfolgte und Inhaftierte

Die Vorgänge um Burcu Kara, die als Mutter des zehn Monate alten Ömer Sait verhaftet wurde, kamen 2020 ans Licht. Sie zeigten zum wiederholten Male, dass in der Türkei auch Mütter von Säuglingen verhaftet werden. Und 2019 konnte zum Beispiel der verschollene Mustafa Yılmaz zu seiner Familie zurückkehren, nachdem er mehrere Monate von der türkischen Polizei festgehalten wurde.

Anfang des Jahres half der Menschenrechtler Ömer Faruk Gergerlioğlu Emine Coşkun, die mit ihrem drei Monate alten, frisch operierten Baby verhaftet wurde. Im Januar wurden sie auf seinen Druck hin freigelassen. Das ist kein Einzelfall.

Vor allem via Social Media erreichen Betroffene, Oppositionelle und Aktivist:innen mit menschlichen Anliegen, immer wieder Verbesserungen für Verfolgte und Inhaftierte. Für die Türkei ist das ein gutes Zeichen – für die Familie des sechsjährigen Yusuf Kerim Sayın sowieso.

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