Panorama
Der türkische Fußball und seine „Haram“-Geschäfte
„Leider seid ihr in diesen Haram hineingetappt“, sagt die türkische Stürmer-Legende Hakan Şükür und stellt die Frage, welches Verhältnis seine alten Freunde gegenüber den Geboten des Islam haben. Dabei geht es um den sogenannten „Fatih Terim-Fonds“, der über die Grenzen der Türkei hinaus bekannte türkische Fußballer um ihr Hab und Gut gebracht zu haben scheint. Aber es gibt wohl auch einige, die ein glückliches Händchen hatten.
Er meldet sich aus dem Exil in den USA zu Wort und nutzt dafür oft YouTube sowie X. An Wochenenden kommentiert die Galatasaray- und Türkei-Legende Hakan Şükür meistens Süper Lig-Spiele, wobei er zwischendurch politisch wird. Durch seine offene Verbindung zum islamischen Gelehrten Fethullah Gülen, der in der Türkei in einigen Bevölkerungsteilen mindestens umstritten ist, fiel er in Ungnade. Heute wird Şükür in der türkischen Öffentlichkeit ignoriert.
Fußball-Kommentatoren sprechen von „dem Langen“ oder „dem Einen“, aber sagen per se seinen Namen nicht. Selbst in der Netflix-Dokumentation über den „Imperator“ Fatih Terim kommt sein wichtigster Spieler für dessen Trainer-Erfolge überhaupt nicht vor. Als wäre das Dasein Şükürs reine Illusion. Der Zustand erinnert an den Fantasy-Film „Harry Potter“, in dem der Name des Bösewichts Voldemort nicht ausgesprochen wird.
Hakan Şükür spricht von „Haram“
Ob mit oder ohne Name, hat der Ex-Stürmer nach wie vor gute Beziehungen und tiefer gehende Einblicke hinter die Fassaden der Promi-Welt des türkischen Fußballs. Zu einigen alten Freunden, die er nicht nennt, habe er über Umwege noch Kontakt. Doch seine Äußerungen zum gegenwärtigen Skandal, der unter dem Namen „Fatih Terim-Fonds“ das Licht der Öffentlichkeit erblickt hat, richten sich an jene, die er einst seine ganz engen Freunde nannte. Darunter Namen wie Arda Turan und Emre Belözoğlu.
Mit Letzterem spielte er gemeinsam unter Fatih Terim, gewann zusammen den UEFA Cup. Şükür war schon immer religiös. Für viele Mitspieler und Jugendfußballer war der Gülenist ein „abi“ (türkisch: Großer Bruder). So werden religiöse Mentoren von Hizmet (Selbstbezeichnung der Gülen-Bewegung) genannt. In seinem jüngsten Video kommentiert Şükür die Skandale rund um den „Fatih Terim-Fonds“ in ebenjener Manier als „abi“.
Hakan abi als religiöses Korrektiv?
Strikte religiöse Verbote sind für gläubige Muslime wichtig. Diese werden als „Haram“ bezeichnet. In diese Kategorie fällt etwa das Geschäft mit Wucherzinsen. Besonders Konservative betrachten Zinsen als generell verboten. Da es sich bei der Masche, womit Dutzende Personen, darunter Spieler wie Turan und Belözoğlu, betrogen wurden, um ein spekulatives Finanzgeschäft mit Aussicht auf Profite durch Wucherzinsen handelt, geht „Hakan abi“ das Thema ethisch und religiös an.
„Ich denke nicht, dass sie schlechte Menschen sind“, so Şükür. Jedoch seien einige unter ihnen, die er als religiös in Erinnerung hat, „in diesen Haram hineingetappt“. Ob er mit seiner Äußerung theologisch belastbar recht hat, sollte eine Frage für Theologen sein. Şükür ist zweifelsohne keine Theologe, war jedoch einst Respektperson dieser Sportler, wenn es um jenseitige Fragen und Glaubensansichten geht.
Der Skandal zieht immer größere Kreise
Abseits der ethischen und religiösen Pointe hat Şükür aber mit seiner Kritik an Arda Turan, Emre Belözoğlu und Co. recht. Denn täglich kommen neue Details ans Tageslicht. Grund dafür ist der Antreiber Turan. Der ehemalige Star von Galatasaray und Atletico Madrid hat nach aktueller Informationslage das meiste Geld verloren. Die frühere Denizbank-Mitarbeiterin Seçil Erzan, die nun in Haft sitzt, soll ein inoffizielles Schneeballsystem entwickelt haben, das über mehrere Jahre lief. Die anfänglichen Investoren, andere Namen aus dem Umfeld von Galatasaray Istanbul, sollen durchaus viel Geld verdient haben. Beispielsweise der Innenverteidiger Semih Kaya, der mit jungen 31 Jahren seine Profikarriere beendete.
Im Kontext der laufenden Ermittlungen wird spekuliert, dass Kaya frühzeitiges Karriereende im Zusammenhang mit seinen lukrativen Gewinnen über die Masche von Erzan stehen könnte. Kaya soll insgesamt 5,5 Millionen Dollar gewonnen haben. Nach Angaben von Erzan, die sie vor Gericht machte, soll Kaya die ehemalige Denizbank-Filialleiterin bedroht und geschlagen haben. Auch Ayhan Akman und eine weitere Person sollen zu den Gewinnern gehören. Die Staatsanwaltschaft könnte eine Nebenklage gegen Kaya, Akman und Fırat Özdemir wegen Wucherei eröffnen. Dann würde die ganze Geschichte eine überraschende Wendung bekommen.
Seçil Erzan – Opfer oder Täterin?
Der weniger bekannte Emre Çolak, der ebenfalls einst für Galatasaray auflief und später nach Spanien ging, soll sich auch an diesem Geschäft beteiligt und mehr als 3 Millionen Dollar verloren haben. Er soll seinem Bruder Emrah Çolak das Geld überwiesen haben, der es dann in bar an Erzan übergeben habe. Dieses viele Geld habe sie nicht einmal persönlich in Empfang genommen, sondern ein Bankmitarbeiter. Als Beleg für den „Zahlungseingang“ soll ein Papier mit Handschrift gedient haben. Auch in den anderen Fällen wurden dem Gericht Papierfetzen mit irgendwelchen Angaben zur Verfügung gestellt.
Kaum zu glauben, findet die Journalistin Özlem Gürses, dass Arda Turan ca. 14 Millionen Dollar quasi weggeworfen haben soll. „Es ist ein Total-Blackout, so einem Geschäft zu vertrauen. So viel Geld gegen ein Stück Papier, ohne jegliche Verbindlichkeit, einzusetzen“, kommentiert Gürses den Fall Turans und jene der anderen. Mehr als 50 Millionen Dollar Geld soll somit verloren gegangen sein. Die mehr als 4 Millionen Dollar von Belözoğlu habe sich dieser von Milliardär Acun Ilıcalı geliehen.
Gürses: „Arda Turan versucht sein Geld zu retten“
Die meisten Informationen, die öffentlich bekannt geworden sind, stammen von Arda Turan. Kein Wunder, da der ehemalige Star das meiste Geld verloren haben soll. Allem Anschein nach habe Erzan das Geld von Turan an andere Investoren im System als deren Profit ausgezahlt. So sollte schließlich dieses Schneeballsystem auch funktionieren. Je mehr Geld reinkommt, desto mehr wird der Anschein erweckt, die Einzahlenden würden sehr schnell an Zinsen verdienen. Schließlich haben fast alle Beteiligte ihr eigenes Geld in den Sand gesetzt.
„Ich habe dir mein gesamtes Vermögen anvertraut Seçil!“, klagt Turan auf WhatsApp und besteht darauf, dass Erzan ins Gefängnis müsse, wenn sie nicht kooperiere. „Ich will dir immer noch helfen. Erstell eine Liste mit allen Beteiligten, damit wir mit diesen Angaben zur Chefetage der Bank können“, so Turan weiter. Diese erwidert, dass es ihr sehr schlecht gehe, sie die eigentliche Verliererin sei und an Selbstmord denke. Die Rolle von Fatih Terim indes bleibt nach wie vor unklar. Doch ein neues, erneut handschriftliches Dokument bringt womöglich Licht ins Dunkel. Demnach pflegte das Terim-Ehepaar eine besonders enge und familiäre Beziehung zur mutmaßlichen Betrügerin.
Auch Tochter Terim und Ehemann verwickelt?
Turan wollte von Erzan zudem wissen, ob „Fatih Hodscha“ Gewinn gemacht habe. In dieser Frage bleibt Erzan weitgehend zurückhaltend. Doch wie Özlem Gürses, Cevheri Güven und auch Hakan Şükür deutlich machen, ist Terim mindestens über seine Tochter Buse und seinen Schwiegersohn involviert und ebenfalls in der Verlustzone. Mit seinem eigenen Geld sei er indes einer der wenigen Gewinner. Bisweilen bestreitet das Ehepaar Fatih und Fulya Terim eine Beteiligung.
Zuletzt hieß es, Fatih Terim wolle wegen des entstandenen Reputationsschadens klagen. Im Gerichtsprozess spielt der untergetauchte Star-Trainer bisweilen eine unwesentliche Rolle. Dabei ziehen sogar alte Vertraute wie der Journalist und Galatasaray-Kongressmitglied Fatih Altaylı dessen Namen als potentieller Drahtzieher ins Spiel. Dennoch ist auch noch unklar, mit wie viel Geld Terim tatsächlich involviert war. Wie hoch der Imageschaden für die Türkei, deren Sportler, Institutionen und Banken ist, steht derweil auf einem anderen Blatt.
Illegales Zinsgeschäft in Kauf genommen?
Arda Turan, Emre Belözoğlu, Emre Çolak und viele weitere Namen haben viel Geld verloren. Dafür haben sie viel gearbeitet. Jedoch bleiben zwei Fragen offen. Ist es normal, dass Fußballspieler und andere prominente Sportler so hohe Summen verdienen sollten, während Menschen in normalen Berufen ihr Geld hart erarbeiten und nur einen Bruchteil davon verdienen? Diese Frage wird kaum zu klären sein, bevor ein globales Umdenken stattfindet. Die zweite Frage braucht allerdings eine kurzfristige Antwort.
Ist es nicht bereits ein Straftatbestand, dass Multimillionäre wissentlich, um hohe Wucherzinsen zu ernten, Bargeld an eine dubiose Person mit fragwürdigen Versprechungen überreichen, um in kürzester Zeit noch viel mehr Geld zu besitzen? Auf wessen Kosten geschehen diese spekulativen Zinsgeschäfte? Wer wird durch diese illegalen Geld-Verschiebungen und System-Manipulationen benachteiligt? Die Bank, die nun um ihr Image kämpft? Die ahnungslosen Anleger? Die breite Bevölkerung, weil Schwarzgeld hin- und hergeschoben wird und in einigen Fällen nachweislich schon längst die Türkei verlassen hat? Vielleicht hat „Hakan abi“ als Moralapostel in diesem Fall recht.