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Politik

„Zeit“-Interview: Fethullah Gülen wendet sich gegen „Gottesstaat“ und gesteht eigene Fehler ein

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Fethullah Gülen, der von der türkischen Regierung als Staatsfeind Nr.1 gehandelte muslimische Prediger, hat der Tageszeitung Die Zeit ein ausführliches Interview gegeben. Darin geht er auf teils sensible Grundfragen seines Weltbildes ein – und gesteht eigene Fehler.

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deutsche Journalisten interviewen den muslimischen Prediger Fethullah Gulen
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Der islamische Prediger Fethullah Gülen hat der deutschen Tageszeitung Die Zeit ein ausführliches Interview gegeben, in dem er zu einigen Grundfragen seines Weltbildes und der von ihm begründeten Bewegung Stellung genommen hat. Vor allem mit Blick auf Deutschland ging es dabei um sensible Themen wie das Verhältnis von Staat und Religion, die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie das Verhältnis des Westens zur islamischen Welt.

So sprach sich Gülen deutlich für eine Trennung von Staat und Religion aus. Auf die plakative Frage, ob für ihn „Scharia oder Verfassung“ höher stehe, antwortete der 78-Jährige: „Ich habe Regime wie im Iran oder Saudi-Arabien nie gutgeheißen, wo Religionsführer die Politik bestimmen“, sagte der Tageszeitung. „Der Staat soll die Religion respektieren, ihre Ausübung erlauben – egal, um welche Religion es sich handelt“, betonte er. „Wenn Glaubensüberzeugungen in die Gesetze eingehen, müssen sie mit den Menschenrechten in Einklang stehen.“

„Der Islam ist eine Religion und keine Regierungsform“

Dieser Respekt gelte explizit auch für nicht gläubige Menschen. Denn jeder Mensch, auch der Atheist, sei ein „Geschöpf Gottes“, so der Prediger weiter. Dabei verteidigte er auch deren Recht, die Existenz eines Gottes zu leugnen. „Wer andere angreift, weil sie nicht glauben, ist sich seiner selbst nicht sicher“, so Gülen. Danach gefragt, ob Christen, Juden und Buddhisten in einem „idealen islamischen Staat“ ihre Religion frei ausüben könnten, reagierte der Prediger mit der Gegenfrage, was denn „ein idealer islamischer Staat“ sein solle. „Der Islam ist eine Religion und keine Regierungsform.“ Auch auf die Frage, ob eine Frau Präsidentin in einem muslimischen Land sein könne, antwortete Gülen eindeutig: „Eine Frau darf jedes Amt ausüben, einschließlich das der Präsidentin.“

Mit Blick auf den Terror im Namen des Islam fügte er hinzu, Muslime sollten sich davon klar distanzieren. „Gemeinden müssen sich fragen, warum sie es Terroristen so leicht machen, die Jugend anzusprechen.“ Danach gefragt, wie er die gegenwärtige Situation des Islam beurteile, antwortete Gülen, er mache sich Sorgen. „Vielleicht haben wir Muslime etwas falsch gemacht. Vielleicht will Gott uns jetzt strafen. Gott weiß es, wir nicht.“ Auf jeden Fall bräuchten die Muslime die Unterstützung der demokratischen Staaten, um die Probleme zu lösen.

Die von ihm begründete Bewegung wird von der türkischen Regierung für den Putschversuch gegen Präsident Recep Tayyip Erdoğan verantwortlich gemacht und seit über zwei Jahren mit wachsender Intensität verfolgt. Tausende Anhänger der Bewegung sitzen im Gefängnis, haben ihre Jobs verloren und wurden enteignet. Seinen Anhängern in der Türkei könne er nicht helfen und es mache ihn „zornig und traurig“, was mit ihnen geschieht. Zu Gegenwehr oder gar Rache fordere er sie jedoch nicht auf. Er verurteile jeglichen Terror und habe auch den Putschversuch verurteilt, noch „während er sich ereignete“. Unter Verweis auf seine Kritiker fügte er hinzu: „Wer andere Menschen Terroristen nennt, obwohl sie Frieden predigen, ist selbst ein Terrorist.“

„Es kommt nicht darauf an, ob einer Muslim ist, sondern darauf, wie er handelt“

Allerdings sehe er auch Teile seines eigenen Wirkens kritisch. „In meinen frühen Predigten habe ich zu pauschal den Westen verurteilt. Heute sehe ich das anders“, so Gülen. Jeder Mensch sei ein Produkt seiner Zeit. „In meiner Jugend wurden die Amerikaner, die Russen, der Vatikan und die Juden für das Leid der Muslime verantwortlich gemacht. Ich habe mich damals von Schmutzkampagnen und Verschwörungstheorien beeinflussen lassen.“

Auf die Frage, was ihn dazu gebracht habe seine Meinung zu ändern, verwies Gülen auf persönliche Begegnungen mit Christen und Juden. „In jeder Religion gibt es Menschen, die ein schlechtes Beispiel abgeben, und andere, die ein gutes Beispiel sind. Es kommt nicht darauf an, ob einer Muslim ist, sondern darauf, wie er handelt.“

Journalisten der Tageszeitung Die Zeit, des ZDF und der Deutschen Presse-Agentur waren Anfang der Woche gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Stiftung Dialog und Bildung Ercan Karakoyun, der in Deutschland als Ansprechpartner der Gülen-Bewegung fungiert, zu einem Interviewtermin in das Anwesen des Predigers gereist. Seit 1999 lebt Gülen im US-Bundesstaat Pennsylvania. Das ZDF-Interview mit Gülen ist in der Mediathek des Senders abrufbar.