Connect with us

Sport

Kontroverse VAR-Entscheidung: Deutscher Schiri bringt türkischen Fußball durcheinander

Published

on

Eine Szene aus dem Spiel Sivasspor-Fenerbahçe. Im Hintergrund zu erkennen: Hauptschiedsrichter Cihan Aydın. Foto: Fenerbahçe
Spread the love

Seit Monaten herrscht Chaos in der türkischen Fußballwelt. Da gerät der Kampf um die Meisterschaft zwischen Spitzenreiter Galatasaray Istanbul und Verfolger Fenerbahçe Istanbul in der Süper Lig fast ein wenig in den Hintergrund. Galatasaray hat die etwas besseren Karten in der Hand. Erst recht nach Feners Remis in Sivas, wo die Entscheidung eines Deutschen eine nationale Krise ausgelöst hat. Wie es dazu kam.

Es läuft die Nachspielzeit im Stadion von Sivas. Stürmer Manaj vom Gastgeber läuft in aussichtsreicher Position auf das vom kroatischen Nationaltorhüter Livakovic gehütete Tor und vergibt freistehend. Manaj sucht den Kontakt, lässt sich fallen und will den Elfmeter.

Benjamin Brand entscheidet womöglich die türkische Meisterschaft

Der türkische Schiedsrichter Cihan Aydın wertete die Situation zunächst nicht als Foul. Doch dann meldete sich der Video Assistent Referee (kurz VAR). Der Dialog war auf Englisch. Grund dafür ist, dass in der türkischen Liga inzwischen ausländische VARs eingesetzt werden. Und an diesem Spieltag war ein deutscher Schiedsrichter der Assistent: Benjamin Brand.

„Cihan, es gab einen Kontakt des Torwarts mit dem Angreifer. Ich empfehle eine Sichtung am Bildschirm“, ließ Brand wissen. Der türkische Schiedsrichter antwortete in einem gebrochenen Englisch und eilte an den Spielfeldrand. Danach gab er den strittigen Elfer für Sivasspor, mit dem die Heimmannschaft zum 2:2 ausglich. Damit war klar: Fener liegt nun vier statt zwei Punkte hinter Gala.

Kritik von Manuel Gräfe: „Das ist kein Elfmeter!“

Ex-FIFA- und DFB-Schiedsrichter Manuel Gräfe schaltete sich nach der Entscheidung von Brand via X in die Diskussion ein. Aufmerksam gemacht auf den Vorfall wurde Gräfe durch deutsch-türkische Fußballfans. X-Nutzer mit dem Namen Jens schrieb: „Als SR-Kollege würde mich ihre Meinung zu dieser Szene sehr interessieren. VAR1 war Benjamin Brand, es wurde in der 90+7. Minute Elfmeter gegeben, welcher zum 2-2 geführt hat. Mutmaßlich Meisterschaftsentscheidend in der Türkei.“

Die Antwort von Gräfe ließ nicht lange auf sich warten. Die Berührung des Verteidigers, der hinter dem Angreifer postiert war, sei nicht ausreichend für einen Foul. Gräfe ging in seinem ersten Tweet gar nicht von einer Foul-Entscheidung durch den Torwart aus. In der Diskussion wurde Gräfe anschließend deutlich: „Sorry, aber auch wenn ich den VAR kenne und mag, aber das ist kein Elfmeter. Für so etwas darf es keinen Elfmeter geben. Das wollte nicht mal der Spieler.“

VAR-Dialoge in der Türkei werden jeden Dienstag veröffentlicht

Doch wieso ist der Dialog zwischen Benjamin Brand und Cihan Aydın überhaupt an die Öffentlichkeit gelangt? Die aktuelle Kontroverse hat ihre Wurzeln nicht nur in der umstrittenen Entscheidung beim Spiel zwischen Sivasspor und Fenerbahçe selbst, sondern auch in dem tiefgreifenden Misstrauen gegenüber den Schiedsrichtern, das durch die Veröffentlichung der VAR-Dialoge noch verstärkt wurde.

Es ist bekannt, dass die türkische Liga die VAR-Dialoge seit Wochen ausstrahlt, um die Transparenz zu erhöhen und Gerüchten über mögliche Korruption und Wettgeschäfte entgegenzuwirken. Ob dieser Umstand Benjamin Brand bekannt war, ist ungeklärt. Doch die Debatte könnte auch in Deutschland Auswirkungen für Brand haben. Denn die Entscheidung hat nicht nur in der Türkei für Aufsehen gesorgt.

Deutsch-Türken diskutieren Fehlentscheidung in den sozialen Medien

Auch die Gemüter der deutsch-türkischen Fußballfans sind erheblich erregt. Vor allem in Deutschland, wo es eine große Fanbasis der großen Istanbuler Clubs gibt, ist das Echo groß. Ein Beispiel für die Aktivitäten dieser Fan-Gemeinschaften: Kürzlich wurde in Gelsenkirchen ein neues Vereinsgebäude eines lokalen Fenerbahçe-Fanclubs eingeweiht.

Sogar Fenerbahçe-Vereinsboss Ali Koç kam für die Eröffnung persönlich nach Gelsenkirchen und war für die Fans buchstäblich zum Greifen nah. Koç gehört zu den reichsten Personen der Türkei. Das Gesamtvermögen der Familie Koç wird auf 6 Milliarden Dollar geschätzt. Zugleich gilt Koç als Kritiker der türkischen Regierung. Koç sagte während einer Rede, Fenerbahçe könne in der Süper Lig keine Meisterschaft erlangen, solange er Vereinsboss bleibe.

Kommt Saran für Koç?

Deshalb hat der erfolglose Koç verkündet, dass er kein zweites Mal für die Präsidentschaft kandidieren werde. Heißester Anwärter für den Vereinsvorsitz ist derzeit Unternehmer Saadettin Saran. Er werde einen anderen Führungsstil verkörpern und zunächst die Beziehungen nach Ankara korrigieren. Danach, so zeigt sich Saran im Interview mit Candaş Tolga überzeugt, werde Fenerbahçe auch wieder Meister.

Die Situation spitzt sich weiter zu, wenn man bedenkt, dass wenige Tage vor dem letzten Spieltag der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan öffentlich erklärte, kein Fan von Fenerbahçe mehr zu sein. Dieser Schritt wurde von kritischen Stimmen als politisch motiviert interpretiert und verdeutlicht die enge Verflechtung von Sport und Politik in der Türkei.