Menschenrechte
Attentat auf Hazım Sesli: Inhaftierter Geschäftsmann entkommt knapp dem Tod
Der inhaftierte türkische Geschäftsmann Hazım Sesli ist Opfer eines Anschlags geworden. Der vorbestrafte Täter stach dem Vernehmen nach sieben Mal auf den Unternehmer ein. Sesli schwebt in Lebensgefahr.
Yeşilçam ist das türkische Hollywood. Heute kann das türkische Pendant mit seinen jüngsten Filmen durchaus mit internationalen Formaten mithalten. Nicht zuletzt glänzten türkische Produktionen wie Atiye auf Netflix und bescherten der türkischen Filmszene große Erfolge. Doch einst war Yeşilçam für Schnulze und Übertreibungen bekannt. Auch Dramatik wurde in türkischen Kinoproduktionen gerne Mal übermäßig eingesetzt. Zahlreiche Szenen wurden zu Klischees und haben sich in vielen Filmen wiederholt. Auch solche Szenen:
In der Haft sieben Mal zugestochen
Wärter begleiten einen sich in Isolationshaft befindenden Häftling aus seiner Zelle zum Telefon, damit er seine Liebsten anrufen kann. Zufällig ist niemand sonst da, der ebenfalls telefoniert. Danach verschwinden die Wärter, als würden sie sonst besonderen Wert auf Privatsphäre legen. Der Häftling hebt den Hörer ab und ruft zuhause an. Er will mit seiner Familie reden. Im Schatten erscheint dann plötzlich eine weitere, düstere Person. Eine Nahaufnahme auf sein Gesicht verdeutlicht sofort seine schlechte Absicht. Tatsächlich zückt er in diesem Moment einen spitzen Gegenstand. Nun ist klar, dass sich gleich ein Blutbad ereignen wird. Ein Auftragsmord hinter Gittern. Wie aus einem schlechten Film der 80er Jahre. Doch in diesem Fall eine wahre Begebenheit aus der Türkei im Jahre 2020.
Warum sollte Sesli sterben?
Hazım Sesli war seit dem 22. Oktober 2015 im Gefängnis von Izmir Menemen. Der Geschäftsmann war eine bekannte Größe in der Unternehmenswelt. Reich wurde er mit seiner Bettdecken-Fabrik und seinen VIP-Beziehungen zu türkischen Spitzenpolitikern. Besonders eng war Sesli mit dem einstigen türkischen Präsidenten Abdullah Gül verbunden. Könnte das ein Grund für diese schreckliche Tat sein?
Wegen Beziehungen zur Gülen-Bewegung in Haft
Der Grund für seine Inhaftierung bereits vor dem Putschversuch war, dass Sesli zu den großen wirtschaftlichen Unterstützern der Gülen-Bewegung gehört(e). Heute ist die Gülen-Bewegung in der Türkei Staatsfeind Nummer ein. Sie hat aus Sicht der türkischen Regierung kein anderes Standing als die Terrororganisation PKK. Seit dem 15. Juli 2016 wird die Bewegung um den islamischen Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich gemacht. Die Verfolgung von vermeintlichen oder tatsächlichen Gülen-Anhängern ist seither gelebte Normalität. Nahezu niemand aus der Opposition hinterfragt diese kollektive Hexenjagd noch, aus Angst, selbst verfolgt zu werden. Doch 2015 war das noch keine gängige Praxis. Damals traf es nur „die ganz Wichtigen“. Um wen handelt es sich dabei?
Journalisten, Polizisten, Staatsanwälte, Richter und die Superreichen
Neben Sesli wurden auch die Milliardäre Akın Ipek von der Koza Holding und die Boydak Gebrüder von der Boydak Holding existenziell angegriffen. Die Boydaks sitzen noch immer im Gefängnis. Ihr gesamtes Vermögen wurde kurzerhand beschlagnahmt. Bis auf wenige Besitztümer im Ausland haben sie alles verloren. Einzig Ipek hat sein Geschäft rechtzeitig nach London verlagert und ist heute angeblich sogar wohlhabender als zuvor.
Daneben wurden in der Türkei vor dem Putschversuch große Medienhäuser geschlossen oder unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt. Noch vorher zielte die gesamte Gewalt und der Zorn des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan auf unbändige Polizisten, Staatsanwälte und Richter, die Ende 2013 gegen Mitglieder der AKP-Regierung, einschließlich Erdoğan und seiner Familie, Korruptionsermittlungen vollstreckten, aber mit diesem Unterfangen im Keim erstickt wurden. Sie sitzen seit 2014 in Haft. Einer dieser Polizisten wurde vor Kurzem im Gefängnis durch sechs Wärter verprügelt. Noch schlimmer sollte es Sesli treffen. Nun schwebt er in Lebensgefahr. Doch er lebt.
Sesli spricht über die Tat
Wie das türkische Exil-Medium Bold berichtete, hat Sesli mittels seines Anwaltes die Tat im Detail geschildert. Die eingangs beschriebene Szene ähnelt zwar türkischen Filmen aus den 80er Jahren, ist aber Seslis Angaben zufolge eine wahre Begebenheit. Demnach wurde Sesli von dem mehrfach vorbestraften Mithäftling Fatih Oktay angegriffen. Dabei handelt es sich um einen Mehrfachmörder, der zu seiner Tat steht. „Er ist ein Landesverräter. Deshalb wollte ich ihn töten“, sagte er in seiner Aussage über die grausame Tat. Für Sesli steht fest: Es war ein Auftragsmord von „ganz oben“. Denn aufgrund seiner exklusiven politischen Kontakte aus den Vorjahren sei er gefürchtet.
Noch im September sprach Sesli in einer Anhörung vor dem Richter angesichts seiner schwer nachvollziehbaren langen Haftstrafe von 15 Jahren davon, nicht mehr lange schweigen zu wollen. „Bisher habe ich nicht gesprochen. Aber bei meinen sensiblen Informationen wird es ein großes Beben geben, wenn ich auspacke“, so Sesli im vergangenen September. Seine Informationen würden ehemalige sowie aktuelle Kabinettsmitglieder betreffen. Hat er sich mit dieser angekündigten Offensive in Lebensgefahr gebracht? Vieles spricht dafür.