Politik
Doğu Perinçek: Staat muss Gülen-Anhänger gewinnen
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Er gehört seit vielen Jahren zu den deutlichsten Kritikern der Gülen-Bewegung. Den Kampf des türkischen Staates gegen die Organisation des in den USA lebenden Fethullah Gülen hat er maßgeblich mitgesteuert. Die Rede ist von Doğu Perinçek. Nun überrascht er mit seinen jüngsten Aussagen über ebenjene Bewegung.
Doğu Perinçek ist eine schillernde Persönlichkeit. Politisch war er in der Türkei stets hinter seinen eigenen hohen Ansprüchen zurückgeblieben. Perinçek kandidierte bei den Präsidentschaftswahlen 2018 gegen Recep Tayyip Erdoğan und erhielt etwa 96.000 Stimmen, während Erdoğan mit 25,4 Millionen Stimmen die Wahl klar für sich entschied.
Unermüdlich, aber stets ein Verlierer
Auch 2023 verkündete der unermüdliche Greis seine Kandidatur für das höchste Amt der laizistischen Republik. Jedoch fehlten ihm diesmal sogar die ausreichenden Unterschriften für eine Teilnahme an den Wahlen. Seine politische Existenz wird inzwischen stärker infrage gestellt als je zuvor. Dennoch darf man Perinçek nicht gänzlich abschreiben.
Der Vorsitzende der Vatan-Partei (Vatan = Heimat) ist für sein Ansehen in gewissen Establishments bekannt. Als Erdoğan 2014 im Rahmen eines politischen Deals eine Reihe ehemaliger Ergenekon-Verurteilter freiließ, sprach diese Gruppierung Perinçek an.
Perinçek Initiator der Hexenjagd gegen die Gülen-Bewegung
„Wir sind wie ein Schwert, das aus der Scheide gezogen wurde“, zeigte sich Perinçek damals kampfeslustig. Seinen Worten folgten Taten. Seite an Seite mit Erdoğan wurde ein ideeller Pakt geschlossen, der sich gegen den vermeintlichen Strippenzieher richtete, der für die Inhaftierung und Verurteilung der Ergenekon-Verschwörer richtete: die Gülen-Bewegung.
In der Folge und insbesondere nach dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2016 nahm die Repression gegen vermeintliche und tatsächliche Anhänger Gülens im ganzen Land und im Ausland explosionsartig zu. Hunderttausende Menschen verloren ihre Existenzgrundlage, Zehntausende wurden ihrer Freiheit beraubt. Dabei bleibt bis heute unklar, ob die Bewegung hinter dem dilettantischen Putschversuch steckt und wenn ja, wie groß ihr Anteil ist.
Vor wenigen Jahren noch gefeierte Gülen-Bewegung plötzlich zur Terrororganisation erklärt
Die Türkei leidet unter Braindrain. Denn nicht nur mutmaßlich an dem gescheiterten Putschversuch beteiligte Persönlichkeiten aus dem Gülen-Netzwerk wurden bestraft. Der türkische Staatszorn traf jede Person, die in irgendeiner Form mit der Gülen-Bewegung in Verbindung gebracht werden konnte.
Dabei war es oft ausreichend, dass sich eine Person solidarisch mit inhaftierten Anhängern zeigte und sie finanziell unterstützen wollte. Noch vor wenigen Wochen wurden sogar Minderjährige in diesem Kontext in Untersuchungshaft genommen. Zahlreiche Kinder wurden von ihren Eltern getrennt, auch wenn sie todkrank waren.
Perinçek mit verblüffender Kehrtwende: „Müssen diese Menschen wieder gewinnen“
Nun zeigte sich ebenjener Perinçek von einer anderen Seite. In seiner politischen Bedeutungslosigkeit sprach er davon, dass man die verfolgten Gülen-Anhänger nicht vollständig verlieren dürfe, auch wenn die Bewegung und ihr Gründer politisch als „tot“ gelten. Diese Worte äußerte Perinçek in einem Online-Interview mit Fatin Dağıstanlı (43:12-45:18 ca.).
„Sehr viele Bürger, die auf diese oder jene Art und Weise mit der Gülen-Bewegung zu tun hatten, haben viele Ermittlungen und Untersuchungen durchgemacht. Diese Bürger dürfen wir nicht verlieren. Es wäre richtig, sie mit Hilfe der Werte unserer Republik für unsere Gesellschaft wiederzugewinnen“, so Perinçek weiter. Eine interessante Kehrtwende. Bleibt abzuwarten, wie sich seine Worte auswirken werden…