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Kolumnen

Der Doppelpass kommt, aber kommt nicht

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Mit der Großen Koalition könnte endlich die doppelte Staatsbürgerschaft kommen – dafür wollen sich Union und SPD in den Verhandlungen einsetzen. Eine Herzensangelegenheit scheint sie ihnen aber nicht zu sein. Eher etwas, das man bloß hinnimmt. (Foto: cihan)

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Ein älterer Mann, mit der türkischen Flagge und der deutschen Flagge vor dem "Deutschland-Zug" - (cihan)
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Im Wahlkampf hat die SPD insbesondere bei der türkischen Community auf die doppelte Staatsbürgerschaft gesetzt, um das Vertrauen und selbstverständlich auch die Wählerstimmen für sich zu gewinnen. Nun ist seit gestern klar: Die SPD wird in die Koalitionsverhandlungen mit der Union gehen. Viele türkische SPD-Wähler dürften erleichtert auf die Regierungsbildung schauen. Die doppelte Staatsbürgerschaft wird kommen, zumal selbst der CSU-Chef Horst Seehofer bei den Sondierungsgesprächen mit den Grünen beim Doppelpass Entgegenkommen signalisiert hat.

Es ist jetzt so einfach. Die SPD muss nur wollen, dann kriegt sie auch die doppelte Staatsbürgerschaft – und damit auch ihre Glaubwürdigkeit zurück.

Ein Feuer aus Selbstzweifel: „Habe ich der SPD Unrecht getan?”

Ich persönlich habe in den vergangenen Tagen ein Wechselbad der Gefühle erlebt. Denn die SPD hat besonders in der türkischen Community viel an Glaubwürdigkeit verspielt. Ich bin einer ihrer lautesten Kritiker, der die alte rote Dame stets daran erinnert, dass sie keinen guten Stand in der Community hat. Über die Zeit der Sondierungsgespräche und besonders im Vorfeld des Parteikonvents rotierten allerdings Meldungen, die in mir ein Feuer der Selbstzweifel entzündeten.

Demnach habe die SPD den Doppelpass in den Katalog der zehn Kernforderungen aufgenommen. Habe ich mich in der SPD geirrt? Habe ich ihr über die Jahre Unrecht getan?

SPD weiter auf dem Irrweg

Die Antwort ist beruhigend und erschreckend zugleich: Nein, ich habe der SPD kein Unrecht getan! Die SPD befindet sich weiterhin auf einem Irrweg, der sie noch weiter von der türkischen und schließlich der migrantischen Community wegführen wird. Es stimmt zwar, dass die SPD die doppelte Staatsbürgerschaft in die Liste der Kernforderungen aufgenommen hat. Doch schaut man genau hin, dann entpuppt sie sich als Mogelpackung. Aus dem Beschluss des Parteikonvents heißt es zur doppelten Staatsbürgerschaft:

„Deutschlands Kinder sollen auch deutsche Staatsbürger bleiben, deshalb wollen wir den Optionszwang abschaffen und Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung ermöglichen.”

Trickreiche Formulierung, dass der Doppelpass kommt, aber doch nicht kommt

In diesem sehr trickreich formulierten Satz steht erstens, dass die Angehörigen der jungen Generation, die in Deutschland geboren wurden, deutsche Staatsbürger bleiben sollen. So weit, so gut. Zweitens, der Optionszwang soll abgeschafft werden. So weit, noch besser. Und drittens, die Mehrstaatigkeit soll möglich sein. Ich möchte der Vollständigkeit halber anführen, dass Mehrstaatigkeit auch jetzt schon möglich ist – bloß eben faktisch nicht für Türken.

Vergleicht man den Beschluss des Parteikonvents aber mit dem Wahlprogramm der SPD, so fällt auf, dass die SPD ihre Forderung nach einer doppelten Staatsbürgerschaft zurückgeschraubt hat. Vergleicht man den Konventsbeschluss mit den Wahlprogrammen der Grünen und der FDP, so wird diese Diskrepanz noch deutlicher.

Die FDP und die Grünen haben Doppelpass glasklar gefordert – aber die SPD?

Zur doppelten Staatsbürgerschaft hat die FDP im Wahlprogramm folgendes geschrieben:

„Integration braucht auch die Offenheit und Integrationsbereitschaft einer Gesellschaft. Als Liberale werben wir für mehr Offenheit und Toleranz. Wir wollen eine Möglichkeit zur beschleunigten Einbürgerung nach vier Jahren und die grundsätzliche Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft. Partizipationsmöglichkeiten erleichtern die Integration: Daher setzen wir uns, bei einem rechtmäßigen Mindestaufenthalt von fünf Jahren, für die Einführung eines kommunalen Ausländerwahlrechts ein.”

Noch deutlicher und noch weiter haben die Grünen dieses Thema im Wahlprogramm gefasst:

„Wir werden den Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Geburt stärken: Wer mit uns regieren will, muss akzeptieren, dass wir die doppelte Staatsbürgerschaft einführen und den diskriminierenden Optionszwang abschaffen werden. Mehrstaatigkeit muss generell erlaubt sein. Kulturelle Vielfalt ist ein Gewinn. Auch bereits eingebürgerte Menschen werden so das Recht bekommen, erneut ihre alte Staatsbürgerschaft zusätzlich anzunehmen.”

Ich hebe hervor: Die FDP hat die grundsätzliche Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft gefordert. Die Grünen führten an, dass Mehrstaatigkeit generell erlaubt sein muss und diese Möglichkeit für bereits eingebürgerte Menschen rückwirkend gegeben sein muss.

Die SPD hingegen will laut Konventsbeschluss nur jene Mehrstaatigkeit möglich machen, die eigentlich heute schon möglich ist. Ozan Ceyhun, ehemals Europaparlamentarier für die SPD, hat vor einigen Jahren seine Mehrstaatigkeit erfolgreich über den Rechtsweg erstritten. Auch das ist möglich.

Sollte bei den Koalitionsverhandlungen die SPD keine glasklare Linie bei der doppelten Staatsbürgerschaft durchsetzen, so muss die SPD um ihr außerordentlich stabiles Netzwerk in der Einwanderergesellschaft fürchten, das sie über Jahrzehnte aufgebaut hat. Es wird weiter erodieren.

Einen besseren Befund kann ich nicht ausstellen, zumal ich die SPD und auch die migrantische Community, in der ich gut vernetzt bin und in der ich eine hohe Reputation genieße, stets neben Thilo Sarrazin auch an das gebrochene Versprechen zum Doppelpass erinnern werde. Versprochen!