Connect with us

Flucht/Migration

Mehr Abschiebungen: Verstärkt Deutschland die Rückführungen in die Türkei?

Published

on

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), steht neben Recep Tayyip Erdoğan, Präsident der Türkei, bei einem bilateralen Treffen vor Beginn der 79. Generaldebatte der UN-Vollversammlung. Zu dem größtem diplomatischen Treffen des Jahres über knapp eine Woche werden am Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York mehr als 130 Staats- und Regierungschefs erwartet.
Bundeskanzler Olaf Scholz (l.) steht neben Recep Tayyip Erdoğan, Präsident der Türkei, bei einem bilateralen Treffen vor Beginn der 79. Generaldebatte der UN-Vollversammlung. Foto: Michael Kappeler/dpa
Spread the love

Seit Längerem wächst der Druck auf die Bundesregierung, mehr Menschen aus Deutschland abzuschieben. Hinter den Kulissen wurde verhandelt – nun gibt es Konsequenzen. Werden jetzt auch vermehrt türkische Staatsbürger des Landes verwiesen?

Deutschland hat mit neu ausgehandelten Abschiebungen in die Türkei begonnen. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Regierungskreisen. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hatte am Freitag zuerst berichtet. Vorerst sollen demnach insgesamt 200 Türken in die Türkei gebracht werden. Die Rückführung solle nach und nach über Linienflüge dezentral abgewickelt werden und habe auf diese Weise nun begonnen. Die Bundesländer seien etwa bei der Beschaffung nötiger Papiere involviert. Laut Medienberichten soll Ankara angeboten haben, bis zu 500 Staatsbürger pro Woche zurückzunehmen. Die Vorbereitungen dafür würden bereits laufen.

Innenministerin Faeser: Effektiver in die Türkei abschieben

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte die konsequente Abschiebung irregulärer Migranten in die Türkei in einem Interview an. „Wir haben jetzt erreicht, dass Rückführungen in die Türkei schneller und effektiver erfolgen können und die Türkei Staatsbürger, die nicht in Deutschland bleiben dürfen, schneller zurücknimmt“, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Sie sprach von einem „großen Fortschritt“ und einem „weiteren Baustein zur Begrenzung der irregulären Migration“.

ARCHIV - 25.10.2023, Berlin: Nancy Faeser, Bundesministerin für Inneres und Heimat, kommt zur Pressekonferenz mit der Vorstellung des Entwurfs des so genannten Rückführungsverbesserungsgesetzes.

25.10.2023, Berlin: Nancy Faeser, Bundesministerin für Inneres und Heimat, kommt zur Pressekonferenz mit der Vorstellung des Entwurfs des so genannten Rückführungsverbesserungsgesetzes. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Anders als bei bisherigen Migrationsabkommen etwa mit Usbekistan oder Kenia kann es bei den Rückführungen in die Türkei um Abschiebungen in großem Stil gehen. Im vergangenen Jahr waren immer mehr Asylbewerber aus der Türkei gekommen. Allerdings sind Abschiebungen in das Partnerland aufgrund seiner geopolitischen Rolle politisch sensibel.

Türkei: Keine Zustimmung für kollektive Abschiebung

Öncü Keçeli, der Auswärtige Sprecher der türkischen Regierung, versuchte die deutschen Medienberichte auf Twitter einzuordnen und dementierte diese: „Die in der deutschen Presse veröffentlichten Berichte über die Rückführungen unserer Staatsbürger, die kein rechtmäßiges Aufenthaltsrecht in Deutschland haben, entsprechen nicht der Wahrheit“, so Keçeli.

Es habe keine Zustimmung zu einer kollektiven Abschiebung von türkischen Staatsbürgern gegeben. Laut dem Sprecher sei das Thema bei dem Treffen zwischen dem türkischen Präsidenten Recep Erdoğan und Bundeskanzler Olaf Scholz am 23. September in New York nicht angesprochen worden.

14.500 Türken ausreisepflichtig

Aus deutschen Diplomatenkreisen hatte es in der Vergangenheit geheißen, die Türkei blockiere die Rücknahme von ausreisepflichtigen Türken in Deutschland unter Verweis auf rechtliche Bedenken. Knapp 1.300 türkische Staatsbürger wurden 2023 aus Deutschland abgeschoben, wie die Regierung auf eine Anfrage der AfD mitteilte. Ende April 2024 waren etwa 14.500 Türken in Deutschland ausreisepflichtig, so das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

Auf der Liste der wichtigsten Herkunftsländer von Asylbewerbern belegt die Türkei aktuell den dritten Platz. In den ersten acht Monaten dieses Jahres stellten demnach 21.590 türkische Staatsbürger in Deutschland einen Asylantrag. Dass jetzt mehr Türken kommen, hat nach Einschätzung von Asylexperten auch mit den Folgen des verheerenden Erdbebens von 2023 zu tun. Seit dem Putschversuch 2016 flüchten allerdings auch viele Anhänger der Gülen-Bewegung, welche die türkische Regierung für den Putschversuch verantwortlich macht. Die Bewegung streitet die Vorwürfe nach wie vor ab. Allerdings werden weiterhin Anhänger der Bewegung in der Türkei verfolgt, selbst wenn sie Haftstrafen bereits abgesessen haben. Ein aktuell laufender Prozess unter anderem gegen minderjährige Mädchen sorgt derzeit wieder für Aufmerksamkeit unter Menschenrechtlern.

Ampel unter Druck

Unter anderem in den zurückliegenden Wahlkämpfen war der Druck auf die Ampel-Regierung hin zu mehr Abschiebungen gewachsen. Bundeskanzler Scholz kündigte vor gut einem Jahr im „Spiegel“ an, „in großem Stil“ abschieben zu wollen. Die Flüchtlingsrechtsorganisation Pro Asyl kritisiert den Kurs. Eine Rückführungsvereinbarung des Bundeskanzlers mit dem türkischen Präsidenten etwa wertete Pro Asyl als „unverantwortlich“. Die Regierung in Ankara steht wegen der Menschenrechtslage und des harschen Vorgehens gegen politische Gegner in der Kritik. Laut Pro Asyl sind die meisten türkischen Asylbewerber in Deutschland Kurden.

16.000 Visa für Türkinnen und Türken

Ob die Einigung nun auch Zugeständnisse an Ankara beinhaltete, war zunächst unklar. Die Türkei pocht seit langem auf Visa-Erleichterungen für ihre Staatsbürger. In der Türkei hört man immer wieder den Vorwurf, Visa-Anträge würden grundlos abgelehnt. Ein anderer Vorwurf, der sich verbreitet hat, lautet, die langen deutschen Wartezeiten seien Kalkül. Gleichzeitig wurden in Deutschland im Zeitraum 2018 bis 2023 nur für Menschen aus China mehr Visa erteilt. Allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres hat Deutschland fast 16.000 nationale Visa für türkische Antragsteller ausgestellt. 2019 waren es im gleichen Zeitraum weniger als die Hälfte.

Laut Medienberichten sei seit dem Berlin-Besuch des türkischen Präsidenten Erdoğan im vergangenen November verhandelt worden. Als Gegenleistung habe Deutschland offenbar zugesagt, bestehende Visaverfahren zu beschleunigen.

dtj/dpa